TEUTONIKA – Leben in Deutschland

Wahnsinn als Hobby-e.V.

Der Wahnsinn als Hobby-e.V. wird hiermit gegründet als Verein in gemeinnütziger Trägerschaft zur Pflege des Wahnsinns.

1. Gründungmitglied: Tim Boson.
Vorstand und Präsident in Personalunion oder im 4 – wöchigen Rotationsprinzip: Tim Boson, Tim Boson.
Geschäftsführer: Tim Boson.
Kassenwart: Tim Boson.
Schriftführer zur Tagesordnung: Tim Boson (in Vertretung: Tim Boson)
Öffentlichkeitsarbeit: Tim Boson.
Forschungsbeauftragter Wahnsinnoskop, Wahnsinnotron. Wahnsinnograf, Wahnsinnometer: Tim Boson
oder Tim Boson

Liebe Gäste und Gründungsmitglieder, Herr Präsident, meine Damen und Herren,

In unserer Gesellschaft zeichnet sich ein Trend ab. Der Trend zum Wahnsinn. Der Wahnsinn als Hobby-e.V. möchte diesem Trend eine seriöse und gesellschaftlich akzeptierte Heimstadt bieten. Der hier neu zu gründende Verein hat sich der Pflege und der Tradition des Wahnsinns verschrieben, den wir, die Gründungsmitglieder, ausdrücklich als ein schützens- und bewahrenswertes aber auch weiter in die Zukunft hinein zu entwerfendes Kulturgut betrachten.
In dieser Versammlung nun haben sich bereits, und das ist sehr erfreulich, und ich sage das auch noch einmal herzlich in Richtung unserer Gäste, Angehörige aus den verschiedenen Berufsgruppen und Schichten der Gesellschaft zusammengefunden. Piloten, Ärtzte, Manager, Politiker, Widerspruchsforscher, Hausfrauen- und Männer, Arbeitende und Nichtarbeitende, Künstler, Wissenschaftler, Philosophen. Sie und uns alle eint hier die Wahnsinnspflege als ein gemeinsames Anliegen für und mit der Kunst, von der Tagesordnung abzuweichen, oder die Kunst, sich mindestens einmal am Tag etwas ganz und gar Unwahrscheinliches vorzustellen oder im weiterentwickelten Fall, dem Wahnsinn zu fröhnen.
In den Gremien zum Gründungsentwurf wurde, und einige werden sich daran nicht sehr gerne erinnern, ausführlich darüber diskutiert, was vom Verein als Wahnsinn angesehen werden kann. Das war nicht ganz einfach. Denn tatsächlich liegt es gerade in der Natur des Wahnsinns, dass er sich der eindeutigen Definition entzieht. Denn was definiert werden kann, ist nicht mehr Wahnsinn, sondern eben etwas Definiertes, also: Festes. Deshalb wissen wir zunächst nur, was der Wahnsinn ganz sicher nicht ist: Er ist keine Extrem-Sportart und auch nicht der so genannte Alltag, er ist keine Krankheit und auch kein Handeln. Wir wissen, dies fiel am Anfang schwer zu akzeptieren, da in den Gründungssitzungen einige glaubten, sie würden dem Wahnsinn allein durch ihre täglichen Verrichtungen, etwa als Vorstandsvorsitzende, Hausfrau, Mutter, Finanzmanager oder Bundeskanzlerin in irgendeiner privilegierten Art nahe stehen. Dies aber kann nun eindeutig verneint werden. Was die genannten Mitglieder hier als Wahnsinnsnähe zum Wahnsinn auszumachen glaubten, war lediglich der normale Gang der Dinge.
Zudem musste auch verneint werden, und dieses fiel uns am Allerschwersten, dass die Liebe sich vielleicht in Wahnsinnsnähe vermuten ließe, vielleicht sogar selbst der Wahnsinn sei oder wenigstens, wie manche meinten, als eine Art Schwester des Wahnsinns gelten könne.
Darüber haben wir im Gründungsgremium lange diskutiert, lang und auch laut, aber schließlich mussten wir zu dem Schluss kommen, dass auch die Liebe, obschon ähnlich schwer zu greifen, nicht Wahnsinn ist. Die Liebe ist sogar und ganz sicher der Kern jeder Normalität. Und sie ist es sogar dort, wo sie abwesend scheint. Denn noch in ihrer Abwesenheit, also in der Lieblosigkeit bildet sie Sehnsuchtsattraktoren aus und strukturiert unser Handeln und Trachten fließend zwischen den Polen Liebe und Nichtliebe.
Die Realität, die Normalität, ist aus Liebe gebaut, sei sie nun anwesend oder abwesend. Deshalb kann sie nicht der Wahnsinn sein.
Der Wahnsinn ist also auch kein Gefühl. Obwohl er sich, dort wo er auftritt, mit Gefühlen vermengt oder mit der Liebe verwechselt werden kann. Um die immer mal wieder auftretenden Ähnlichkeiten von Wahnsinn und Liebe im Auge zu behalten, haben sich die Gründungsmitglieder aber darauf geeinigt, eine Sektion Liebespflege einzurichten, gerade damit hier die Unterschiede erkennbar bleiben und es nicht zu Missverständnissen kommt.
Was also ist der Wahnsinn?
Wie können wir den Wahnsinn pflegen, wenn wir nicht sagen können, was er ist?
Zumal sich ja auch alle einig waren, dass es einen allgemeinen Trend zum Wahnsinn gibt.
Einige Mitglieder glaubten, eine einfache Antwort parat zu haben. Die Pflege des Wahnsinns bestünde darin, selbst wahnsinnig zu werden.
Ich möchte hier nur an die Zwischenrufe aus den Sitzungen erinnern, die auch protokolliert wurden, wie zum Beispiel “Dann machen Sie das mal!” oder auch: “Wenn das so einfach wäre, Herr Dr. Behrens!”
Darin erkennen wir schon eine weitere Schwierigkeit. Denn der Wahnsinn ist nicht von Personen abhängig oder gar innerhalb von Personen fest zu greifen. Im Gegenteil. Die therapeutischen Erfahrungen mit Personen, bei denen angeblich “Wahnsinn diagnostiziert” wurde, hat gezeigt, dass diese Personen keines Falls von sich behauptet haben, sie seien “wahnsinnig” oder sie wollten “wahnsinnig werden”.
Die “Therapeuten” glaubten nun meistens die Leugnung des Wahnsinns der jeweiligen Personen gerade als sicheres Anzeichen dafür hernehmen zu können, dass die betreffende Person wahnsinnig sei. Eine fragwürdige Vorgehensweise. Wo kämen wir hin, wenn wir jeden, der abstreitet, wahnsinnig zu sein, einer Behandlung zuführten?
Andererseits kann man von Personen, die von sich behaupten, sie seien wahnsinnig, mit Sicherheit sagen, das sie es nicht sind. Dieser Ansatz führt also nicht weiter.
Es verhält sich hier ähnlich wie bei dem bekannten Paradox, dass uns aus anderen Zusammenhängen bekannt ist, wie zum Beispiel an der Intensität und Häufigkeit, so jemand behauptet, er sei Kommunist, man ganz sicher erkennt, das der betreffende kein Kommunist ist. Die Wahrscheinlichkeit, das die Behauptung der Person zutrifft, sinkt mit der Häufigkeit, in der die Person die Behauptung vorbringt und mit der Intensität, in der die Behauptung vertreten wird.
Sehr wohl also gibt es Erkrankungen der Seele, aber der Wahnsinn gehört nicht dazu. Er ist keine Krankheit.
Um es kurz zu machen: Im Abschlussprotokoll haben wir uns darauf geeinigt, dass die Pflege des Wahnsinns nur darin bestehen kann, ihn zu suchen, zu umkreisen, ihn zu bewegen, schließlich: ihn für möglich zu halten, für wahrscheinlich , obwohl er das Unwahrscheinlichste ist.
Ich bedanke mich für ihre Aufmerksamkeit, wünsche uns für die Zukunft, wenn ich das so sagen darf, viel Wahnsinn und möchte sie nun ans Buffet bitten, dass uns hier freundlicherweise von der Firma Polenz-Dachdeckerei-Dachschadensbehebung und, Dachentwässerung” gesponsert wurde.
Als erste Vereinshandlung im Sinne des Wahnsinns möchte ich zugleich vorschlagen, den Verein aufzulösen.
Gibt es Gegenstimmen?

2 Antworten zu „Wahnsinn als Hobby-e.V.“

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