TEUTONIKA – Leben in Deutschland

oder: Sprache als Getränk.

Weit dringender
als den Taschen,
fehlt dem Kopf
der fallende Groschen,
wenn der da nicht reinfällt,
spielt niemand am Flipper,
wächst der Einwurfschlitz zu
im Laufe der Zeit
und blinder werden die Bilder.
(Tim Boson, Selbstzitat.)

Ausgerechnet in Zeiten der “Globalisierung”; in Zeiten der englisch- und pidginvermittelten Internationalisierung und Flächen-Vernetzung – stoße ich auf ein vertikal reichendes oder wurzelhaft anmutendes Thema: Die eigene Muttersprache – das unheimliche Deutsche.
Heute durchaus keine globale Weltsprache, kann das deutsche Sprach-Gerät unter bestimmten Bedingungen eine laser-scharf konzentrierte Hoch-Temperatur ausbilden, mit der es sich bis zur Pupille des zeitlich bewegten Sturm-Auges durchbrennt.

Husserl, und dann Heidegger – ich habe diesen sprachlich phänomenologischen Zug eine Zeit lang ein bisschen unterschätzt. Oder bewusst gemieden. Oder vielleicht sogar belächelt und der Etümelei verdächtigt. Habe Übertreibung gewittert in der Aussage: „Wer wirklich denken möchte, kann dies nur auf Deutsch oder Altgriechisch tun.“ (Heidegger)

Unheimlich. Schon bei Hegel, Fichte oder Schelling, hatte ich immer mal wieder deutlich bemerkt gehabt, dass die deutsche Sprache schon im 19. Jahrhundert zu einem Gerät entwickelt ward, das man noch heute, im 21. Jahrhundert, nicht anders als ein High-Tech-Gerät empfinden muss, das Schutzbrille erfordert und kein Spielzeug für Kinder mehr ist. Schon das Wort unheimlich kann man hier wörtlich für nicht heimlich nehmen, offen, ausgesetzt, deutlich, eben deutsch. Das Unheimliche – im Gegensatz zum schnellen Gebrauch des Wortes – als das Scharfe, das dem Wittern und Wettern ausgesetzte, das bemerkbar wache Sprechen und physikalisierte Denken. Nicht das Unklare oder Verwaschene, das Verschwafelte, das Milde oder bloß Angefühlte..

Obschon Etymologie, wo sie unkritisch sich hinabsteigert, zur Etümelei entarten kann; aber wenn da einmal ein Ohr für das unheimliche Deutsche gewachsen ist, wird man dieses Ohr so schnell nicht mehr los.

Eine Zeit lang war ich gehalten von Einflüsterungen der sprachkritischen Philosophie, die ein Misstrauen vorhielt der muttersprachlich gelenkten Welt-Vernehmung, ihre Obacht-Schilder aufstellte im sprachlichen Weltverkehr, Verkehrszeichen für Brückenhöhen, Stopp – und Vorfahrtsregelungen. Ihr Argument lautete: Wisse, dass Du immer so denkst, wie Du sprichst. Deine Welt ist deine Sprache. Und wisse, dass solches Sprechen nicht – umgreifend – weltverbindlich sein kann

Wirklich?

Aber: Wer hatte den sprachkritischen Einwand zum ersten Mal wieder (seit den mittelalterlichen Denkern) philosophisch deutlich (deutsch) aufs Tablett gestellt? Es waren wiederum die grammatischen Deutschen, Wilhelm von Humboldt, dann die Österreicher, die Positivisten nach und mit Wittgenstein und dann eben Heidegger nach Humboldt.

Dazu wirkte im Deutschen Gerät immer lange auch eine sprachpolitische Erziehungs-Bewegung; sie wirkte, seit dem es Sinn macht, von einem typisch deutschen oder germanischen Sprachgebaren ausfließend zu artikulieren.

Das deutsche Sprach-Gerät war lange schon Objekt einer Erziehung gewesen, welche dieser Sprache wie einem bösen hyperaktiven Kind Manieren beibringen glaubte müssen… zu…sollen. Erziehung. Das deutsche Gerät musste aus seinem Wittern, den Wäldern und Wettern seiner unheimlich ausgesetzten und ansprechenden Wachheit in zivilisatorische, also lateinisch-romanischere Gefilde geführt werden. Dorthin, wo Sprache eine menschenumgänglichere Wortwahlfreiheit und auffächernde Milde bekommt, wo der Klang von Worten oder die Töne eines Satzes diplomatische Flucht – und Interpretationsräume offenlassen – gegen die genagelte und festnagelnde Härte der Befehlstöne des Seins in unmissverständlicher Deutschheit und Deutlichkeit.

Woher kommt das?

So wie in wirtschaftlichen Verläufen Wachtums- und Krisenphasen abwechseln, so begegenen sich im Sprachlichen womöglich die Zeiten, in denen eine gediegene bis verfettete Sprache der Wortreichtümer und Manierismen, der Ziselierungen, der tonalen Feingerüche und Interpretationsangebote mit einer dynamisch knochigen bis dürren Läufer – und Aufbruchssprache abwechseln, deren grammatische Physis nach Effizienz und Impuls-Nutzen organisiert bleibt.

Historische Seitenblicke offenbaren, dass sogar die Deutschen selbst immer ein zwiespältiges Verhältnis zu Ihrer „Volks-Sprache“ unterhielten. Bekanntlich wurde an vielen deutschen Fürsten-Höfen über lange Zeit viel bis ausschließlich französisch gesprochen, auch und gerade am preußischen Hof. („Deutsch spreche ich nur mit meinen Pferden“ – sagte ein preußischer Rex. ) Man könnte das als degenerierten oder überzogenen Snobismus markieren, der sich vom „Volke“ abheben will, was aber ganz falsch interpretiert wäre.

Treffender wäre hier, dass barocke oder rokoköse Hofstaaten innersystemisch dermaßen empfindliche, geradezu fein klimatisierte Sozial-Gebilde einrichten, in denen alles Sehr-Deutliche, Unmissverständliche und Allzu-Nackte im sprachlichen Verkehr sofort soziale Verwüstungen im zarten Spinnenweb Hofstaat anrichten können.

Originaldeutsches Sprechen kann die Durschlagskraft von großkalibrigen Projektilen freisetzen, zu energiereich für die innersystemisch fein justierten tapetenwand- vorhang- und gardinen-moderierten Hofstaaten.
In einem barocken oder rokokösen Hofstaat schießt man mit kaum sichtbaren Pfeilchen, giftig surrend, man steuert mit Blicken, degradiert mit Schweigen, oder man vernichtet mit leisen Tönen und Nuancen.

Das Abfeuern von energiereichen deutschen Sprachmaschinen-Großkalibern verbietet sich zwischen höfischen Vorhängen, diplomatischen Feingespinnsten und politischen Rigibswänden
Das deutsche Gerät gehörte also lange Zeit in den Stall zu den dampfenden Pferden, ein womöglich notwendig richtiger Instinkt des preussischen Königs. (der allerdings dann doch öfter deutsch sprach, als er vorgab.)

Aber: „Wer wirklich denken möchte, kann das nur auf Deutsch oder Altgriechisch tun.“

Wollte Heidegger provozieren mit dieser Äußerung? Der Satz bleibt ein starkes Stück, wenn man bedenkt, dass im deutschen Sprachgerät lange Zeit eigentlich alles, was den „Geist“ ansprechen wollte, immer ein Importgeschäft aus dem lateinischen oder romanischen Sprachraum pflegte.

Im wörtlichen Sinne war es lange Zeit der lateinische „Spiritus“ und dann der französische „Esprit“, der die „höheren“ Stände in ganz Europa be- geisterte.

Warum also dieser denkwürdige Satz von Heidegger?

Eine Überlegung dazu: Das Deutsche Gerät war lange Zeit von der diskursiven Verschriftlichung in Bibliotheken und zwischen Buchdeckeln ausgeschlossen. Lange Zeit war das Geistesleben vom Latein dominiert worden.

Das Deutsche aber, eine Sprache, die lange selbst nicht im großen Stil am schriftlichen Transport von Überlieferung und gelehrter philosophischer Be-Geisterung teilgenommen hatte, – bewahrte sich etwas, dass für ein nachsondierendes Denken und Philosophieren unendlich wertvoll ist. Sie bewahrt sich die Originalität Ihrer physisch- bis physikalischen Vibrationen, ihre Anbindung an die Physik des Notwendigen und der Not-Wendungen im Wesentlichen ihres Anspruchs – und Wirkraums der körperlichen Gesprochenheit – und entgeht damit der konservatorischen Frisur von gelehrter Überlieferungs-Sprache.

Eine hauptsächlich nur gesprochene und vom wesentlichen Schriftverkehr getrennt lebende Sprache kann nicht durch offiziöse Interessen zensiert oder frisiert werden. Eben weil sie handelnde Impuls- und Moment-Sprache bleibt mit einem starken impulsiven Momentum behaftet.

Das Deutsche Gerät war lange Zeit in der Welt, pochend, auf Straßen und Plätzen, Feldern, Furten und Wegen, atemend-sprechend-wirkend, und erst sehr spät geriet es zwischen die Buchdeckel von schriftlicher Maßgeblichkeit.

Alles Lateinisch-Romanische aber war immer schon durch die Friseurgeschäfte und Maßschneiderein von Zivilisationssprache der Verschriftlichung gegangen, namentlich der römischen, der Dekrete und Erlasse, der Schreib-Schulen und der großen Gesetze, der Steintafeln und imperialen Texte – und schließlich wurde es eingeschlossen in die christlichen Klöster, Orden und Schulen.

Eine wenig verschriftete Sprache kann auch schneller einfach so aussterben und verschwinden. Was dem Deutschen aber nicht passiert ist. Dafür war oder ist dieser spezielle Sprachraum doch zu mächtig gewesen.

Während eine große schriftliche Geistverkehrs-Sprache und Schultafelsprache wie das Latein immer nachprüfbar und damit letztlich auch von Intentionen und Intendanten zensierbar blieb und auch bewusst oder unbewusst frisiert wurde, instrumentalisiert und maßgenommen.

Das Lateinische, das dominierend aus dem gediegenen römischen Zivilisationsraum gekommen war, und das immer wieder kopiert, abgeschrieben und überschrieben wurde, musste irgendwann durch die Selektionsschleusen und Filter der bewussten und unbewussten Zensoren. Kommentatoren und Interpretatoren hindurch, in die Interpretationsräume der gelehrten Leser und Widerleser, der Schreiber und Abschreiber- und Feinsieber.

Ebenso wie es in die Derivatsprachen der romanisierten Provinzregionen hineinverrauschte, wo es sich dann zu eigenständigen romanischen Derivat-Dialekten wie französisch, spanisch oder portugiesisch noch einmal als Provinz-Latein volkssprachlich abmilderte, klimatisierte, verzweigte, mit den arabischen oder afrikanischen Peripherien mischte, entspannte und verdünnte.

Der schriftliche Gebrauch von Sprache zur Überlieferung und zivilisatorischen (römisch-imperialen) Dekretierung ist für die „Bildung“ und die Überlieferung von Geschichte, Religion, Wissen und Denken nützlich und unabdingbar.
Aber schon das Wort Überliefern erzählt etwas über ein sprachregulierend wirkendes Procedere. Was Lieferung und Überlieferung leisten soll, muss handlich gemacht, prozessual beruhigt und letztlich standardisiert werden. Was überliefert und in Büchern oder auf Steintafeln ausgeliefert werden soll, bedarf der „Be-Handlung“ – des konservatorischen Eingriffs, damit eine solche Sprache konservatorische Verbindlicheit erlangt auch und gerade für frühe Recht-sprechnungen. Vielleicht wurde das Latein zu einer ersten ganz frühen Programmiersprache eines geistigen Internets zwischen Zeiten und Räumen.

Ein Konserviertes aber, das von einem nächsten Konservator oder Kommentator wieder und wider gelesen und abgeschrieben und unbewusst zensiert wird, entfernt sich irgendwann als Sprache von allen physischen Not-Wendungen des alltäglichen Gesprächgebrauchs in Gegenwart der Not-Wendungen (Not-Wendigkeiten) auf Märkten, Furten, Plätzen, Wäldern, Wegen, und Straßen.
Eine solche Sprache kann irgendwann “sophisticated” werden, etwas, für das ein deutsches Sprachgerät kein eigenes Wort bereit hält. Der Sophismus wiederum wuchs als eine Entwicklung der mündlichen Dispute, der Rechtssprechnungen und Verteidigungsreden, wie sie nur in der griechischen Polis gedeihen konnte, unter Zuständen halbweg langfristig gesicherter Sesshaftigkeit und erster Rechtsstaatlichkeit – und später dann auch im Römischen weiter gepflegt werden konnte.

Aber auch das Altgriechische blieb von allzustarker schriftlicher Vernutzung offenbar verschont. Davor schob sich der lateinisch römische Zivilisationsraum in seinem lateinischen Sprechen.

Aber wie gesagt, eine starke Verschriftlichung von Sprache nimmt ihr auf Dauer das Unheimliche, ihr Ausgesetztes, – macht sie erst heimisch und dann heimlig. Im Sinne des Wortes heimelig zwischen Buchdeckeln und Klausuren. Die Sprache kehrt in ihr Sicheres ein, verfestigt sich, wird schulbar– und schließlich versteinert ihre Grammatik zu einer Tafel-Grammatik.

Genau das ist dem Latein über Jahrtausende passiert. Zeitlich lange vor dem Deutschen. Es geriet aus der Unheimlichkeit aller Not-Wendungen in die Heimeligkeit der Bücher und Köpfe, Klöster, Gesetze, Tafeln und Klausuren. Das Latein mutierte zu einer Experten- und Gelehrten-Sprache; in zunehmender Klausur unter Luftabschluss gärte es hier wie in einer Destille zu einem hochprozentigen Spiritus aus.

Das Bemerkenswerte an einem Spiritus (Geist) ist aber nun, dass man ihm einerseits hochprozentigen Essenz-Charakter zusprechen kann. Andererseits aber ist ein Spiritus desinfiziert, oder besser: er wirkt desinfizierend auf das Denken und Philosophieren. Der Spiritus selbst lebt nicht mehr. Obwohl er selbst belebende Wirkung hat und die Blut-Hirnschranke durchdringt. Der Spiritus kann selbst Räusche verursachen; aber er ist selbst nicht der Rausch, sondern eigentlich tot. In einem Spiritus kann nichts leben. Weil er ein verzolltes Konservierungsmittel ist zur Überlieferung – muss er zugleich desinfizierend wirken. In dem der Spiritus die Blut-Hirn-Schranke überwindet, verpflichtet er sich selbst zum Totsein.

(Kurzes Abschweifen: Diese Sache kann durchaus beschäftigen. Hier war oder ist auch das Lateinische später auf vom (Hauch, Atem – spiritus) auf den Alkohol übertragen worden. Den Alkohol – der unter Gärungsprozessen, zum Teil unter Luftabschluss entsteht, bezeichnet es als “Geist” – der vom “Saft” zum Beispiel dem Saft einer Williams–Birne – über Barriereprozesse – ex – trahiert werden kann.)

Deshalb vielleicht auch hat das Lateinische bis heute in den Benennungen der Schul-Medizin überlebt.

(Zugleich fällt dem Schreibenden hier eine Sentenz ein: Nur der Tod überwindet alle Grenzen. Oder anders gesagt: Der Tod kennt keine Schranken. Daraus folgt auch für eine Kosmologie, solange sie von Lebenden betrieben wird, dass diese Kosmologie eine (falsche) systemische Begrenzung zeigt. Eine wahre Kosmologie, im streng physikalischen Sinne, kann nur eine Kosmologie ohne Blut-Hirnschranke sein.)

Zurück zum Lateinischen: Man darf sich hier nicht täuschen lassen. Zwar bietet die lateinische Grammatik und Phonetik klanglich zum Teil eine wie in Stein gemeißelte Klarheit aus, die in vielen Sprichworten und überlieferten Redewendungen attraktiv daherkommt. Aber das Gemeißelte dieser lateinischen Wendungen ist eben versteinert, tod, unter Luftabschluss zum Spiritus destilliert, also tot und physisch nicht gärend – deshalb als „toter“ Spiritus mitunter scharf anregend aber mit äußerster Vorsicht oder nur interpretatorisch verdünnt abzuschmecken.

Der ganze aktuale „Rausch“ einer Sprache im Rauschen der Fehler, Dialekte, Missverständnisse, Gespräche, Zurufe, Witze, Schreie und Auswüchse verwandelte sich in den schriftlich – imperialen (christlichen) Luftabschluss-Prozeduren und Festschreibungen der Überlieferungen vom Latein zum Kirchenlatein und Tafellatein, und geriet so über die Luftabschlusstechniken der Verschriftlichung zwischen Buchdeckeln in Formeln der Klausuren und Klöster. Das Latein verwandelte sich zum Spiritus Sanctus, zum heiligen Geist mit einem hohen Reinheitsgrad, der die Sprache selbst aber tötete.

Das Lebend-Vibrierende, das Atmende, Klopfende, Pochende und Fließende einer ursprünglich lebendigen Sprache verwandelte sich destillatorisch über die Luftabschlusstechnik der Verschriftlichung zu einer Aroma- und Geschmacks-Sprache, deren „Wahrheitsgehalt“ rein semantisch nicht mehr ganz so einfach und umweglos „für bar“ hergeleitet werden kann, sondern hoch destilliert, konzentriert oder kondensiert jetzt der Geschmäcker, der Verkoster und Interpretatoren bedarf, der semantischen Mundschenke, der Auskenner in den schulischen Interpretationsräumen, wo sich ein Sinn-Aroma oder ein Klang-Aroma erst entfalten muss oder entfalten kann.

Deshalb eignen sich heute viele latinisiert-romanischen Herkunfts-Sprachen zumeist sehr gut als Aroma – Klang – und Geschmacks-Sprachen für zwischenmenschliche Diplomatien. Ihre semantische Produktion kommt nicht so scharf und direkt auf den Punkt wie im Deutschen Gerät – einfach deshalb nicht, weil das Lateinische in vielen schriftlichen Überlagerungen ein Sinn-Rauschen der Mehrfachbedeutungen mit eingefangen hat; so braucht und schafft das Lateinisch-Romanische zivilisatorischen Raum, eine interpretatorische Gaumen-Höhle, in die sich der Angesprochene oder das Angesprochene zur Not immer auch auf das Abschmecken des Sinns eine Weile zurückziehen kann. Sinn darf sich als ein vom Spiritus transportiertes Aroma entwickeln, aber er erpresst dabei den Hörenden nicht zum Hörigen.

Beim original-deutschen Sprachgerät verhält sich das ganz anders. Das deutsche Sprachgerät geriet nie unter Luftabschluss und blieb von starker Verschriftlichung oder von Klausur im großen Stil lange Zeit verschont. Es gärte und lebte und sprach und stammelte, witzelte und brabbelte immer weiter. Jedenfalls bis zu Luther und der Erfindung des Buchdrucks. Es lebte auch außerhalb der Klöster und Höfe auf den Straßen, Plätzen, Märkten, Feldern und Furten.

Die sprachlich explosive Wucht der Luther-Bibel kommt daher. Richard Friedenthal erwähnt in seiner Luther-Biografie, wie das Luther-Ohr sich diesem wuchtigen und frischem Deutsch der Straßen und Plätze und Furten bedient hat – und damit ein erstes deutsch-sprachiges Paradigma schuf, dessen Gewalt dann die deutsche Hochsprache ausstülpte

Was hat das zu bedeuten in Bezug auf den Heideggersatz: „Wer wirklich denken möchte, kann das nur auf Deutsch oder Altgriechisch tun?“

Selbst kein hundertsprachig versierter Komparatist, kann ich der Frage persönlich unter wenigen Aspekten nachgehen:

Zunächst mal weiß ich, dass der als leicht überheblich klingende Satz nicht wirklich ganz so krass gelesen – oder zumindest dann ausgeweitet werden müsste auf das Englische, da auch das Englische als das Angelsächsische in indogermanischer Sprache spricht. Zudem gehört das Denken an sich sowieso nicht zu den Lieblingsbeschäftigungen von Menschen. Schon deshalb ist der Heidegger-Satz nicht wirklich provozierend. Wer will schon denken? Die Frage, wie man am besten denkt, ist ja vielleicht schon als Frage sehr deutsch.

Dazu kommt, dass die komplizierte historische Entwicklung aller heutigen Sprachen immer noch viel weniger aufgeklärt ist, als beispielsweise die Bio-Genese des Schachtelhalms. Ganze Völkermischungen und Sprachgeschiebeschichten liegen nach wie vor unaufgeklärt im Dunkeln.
Man weiß bis heute nicht genau, wer oder was eigentlich das indogermanisch sprechende Urvolk gewesen sein soll. Gegen diese Unwissenheit sind die Dinosaurier fast schon langweilige Haustiere.

Wenn hier also vom „deutschen Gerät“ die Rede ist, schließt das mit ein, dass höchstwahrscheinlich noch viele andere Sprachen die selben Fähigkeiten ausbilden konnten, aber womöglich weniger auffällig, die ich hier aber einmal aus dem Vergleich lasse und mich deshalb auf „das grammatische Deutsche“ beschränke, das mir in bestimmte Eigenarten eben doch stark sonderbar begegnet.

Das vorerst Erstaunliche an jeder aktiven Sprache bleibt, dass sie ein lebendes sich immer häutendes Reptil ist, das auf Zungen wohnt. Ihre fossilen oder reptilen Elemente werden von feuchten Zungen durchgereicht. Alle neu einfließenden Sprach-Not-Wendungen heften sich dann an die sehr raue, sehr aufnahmefähige Haut dieses Zungen-Reptils, fallen wieder ab, oder wachsen irgendwann einfach ein.

Zum anderen würde ich unterstellen, dass jeder denken-wollend Sprechende ganz automatisch irgendwann sowieso agiert als ein vergleichender oder wenigstens sprachaufmerksamer Denker. Aber okay, das war vielleicht nicht immer selbstverständlich.

Was das Altgriechische betrifft – da sich planetarische Kultur, oder das, was sie technisch ist, was sie platonisch und mathematisch leistet – gesamtglobal planetarisch leistet – sich von altgriechischen Denkbewegungen ableitet, hat Heidegger auch hier einen richtigen Instinkt. Insofern ist das Altgriechische mit sicher wirkenden (ebenfalls ungeklärten) Einströmungen wenigstens aus dem arabischen Raum oder sogar dem Nil-Delta heute sowieso technisches Welt-Denken.

Trotzdem müssen die Erwägungen hier unvollständig bleiben, da mir 99 Prozent der auf der ganzen Welt immer noch lebenden Inselsprachen und Dialekte nicht geläufig sind. Nur im Russischen immerhin kenne ich mich noch etwas aus. (Auch das Russische transportiert eine sehr wache und lebendige Vibration durch die Zeit) Vom Chinesischen weiß ich nur Theoretisches und von den italisch/lateinisch/romanisch abgebogenen Weltsprachen weiß man, dass sie komparatistisch als „Bastardsprachen“ etwas unfreundlich bezeichnet werden, die in römische Provinzbezirke hinein verrauscht sind, deren Urgroßmutter, das Original-Latein als lebendige Sprache eben beinahe – ausgestorben ist oder eben zum toten Spiritus destilliert wurde.

Anders das original Deutsche, meine Muttersprache. Ihr kann ich stärker nachspüren. Das Deutsche jedenfalls (scheint mir) zu nähren eine lebendige vertikale Radix, ein zeitentief züngelndes und nach wie vor deutlich unverstopftes Pumprohr in protolinguale Grundgewässer. Das lässt sich irgendwie nicht leugnen. Wie schön doch das Wort „Vergessen“ so deutlich unverrauscht ins „Gegessen haben“ eintaucht in tierblind glitschige und wechselwarme Verdauungs- und Kontemplationsräume der Urzeit. Etwas zu vergessen bleibt ein Effekt der Sättigung. Das ist einfach so wahr!

Nun könnte man fragen: Woher weißt Du denn, dass die Verbindung von Vergessen und Gegessen haben „stimmig“ ist im Sinne einer objektivierbaren Wissenschaftlichkeit von Weltbeschreibung? Gar im Sinne einer ernstzunehmenden Biophysik des Metaphysischen?

Darauf würde ich antworten: Diese Verbindung muss stimmig sein, weil Sprache ein Werkzeug ist, dass sich letztlich in einem Kontext der Nützlichkeit und Brauchbarkeit beweisen muss, und damit zur technischen Evolution gehört und damit einem darwinistischem Ausleseprozess unterliegt. Falsche oder nichtstimmige onomatopoetisch/semantische Verbindlichkeiten würden sich einfach nicht auf Dauer halten. Sie würden sprachlich aussterben – oder sich verändern, was sie zum Teil ja auch tun. Was so lange unverrauscht durchhält, muss epistemologisch ernst genommen werden dürfen.

(Trotzdem muss man immer aufmerksam bleiben und schauen, in wie weit sich Bedeutungen von Worten verändert haben – damit eine Etymologie nicht zur Etümelei entartet.)
Wenn Heidegger auf so etwas immer mal wieder gepocht hat, dann muss man einfach sagen: Da hatte er Recht, der Alte. Ja, es hat da eine Zeit lang auch ein Heidegger-Überdruss gewirkt, ein Belächeln, das bis in den Spott hineinreichte – bis hin zur Denunziation im „Heideggern“….und daran war er selbst nicht unschuldig. Aber in welcher Sprache lebt eine so sinnige Verbindung von Zählen und Erzählen?; vom Greifen zum Begriff? Welches Wort kann präziser sein als das Wort Gegen-wart?

Es bleibt dann erstaunlich, wie sehr Sprache hier eben doch einen tatsächlich objektivierbaren Entbergungs – und Besinnungswert erreicht, bis hin zu einer Präzision, die einer mathematisch grundierten Funktionen-Übung unbedingt gleichgestellt werden kann.

Dieser onomatopoetisch/semantische Laserbohrkopf geht dann durch Zeiten wie durch Butter und flößt mir selbst manchmal solchen Respekt ein, dass ich die eigene Muttersprache als eine Fremdsprache wieder empfinde, als ein wirklich starkes Gerät.
Und noch in den technischen Fachsprachen, erreicht sie zum Beispiel mit dem Wort Auflösung eine erstaunlich hohe Besinnungsqualität.

Schon im Englischen mit seinen vielen lateinischen Einsprengseln ist da – manchmal, nicht immer – einiges verrauschter, in Wort-Wahlfreiheiten hinein verbreitert, abgebogen (vergessen, forget, essen, eaten, disremember, oblivion) Der bekannte Wortreichtum der englischen Sprache eignet sich für Diplomatien in der handelnden Fläche – für philosophische Obsessionen in Exaktheit kann er hinderlich sein.

Eine andere Eigenart von Sprache lebt in Abfolgen von langen Perioden eines nicht harmlosen, wie eingebremsten Schläfer-Daseins, in dem ein Wort als verstummter uralter Lotus-Same hinter den Zungen weitergereicht wird, bis der dann irgendwann hineinfällt in ein Boden oder in ein Millieu und als Wort „Entropie“ dort aufkeimt, ja aufplatzt, und die Relativitätstheorien erweitert, ein ganzes Universum zum Blühen bringt.

Als hätte Rudolph Clausius auf seinem Foto diesen Samenkern hinter seinen fest verschlossenen Lippen lange lange unterm Licht hindurch getragen. Dabei hat er Ihn in seiner inneren Bedeutung ja selbst schon (unbewusst?) erfasst und prä-formuliert. Dabei wussten es immer alle schon. Wie sogar dieses schöne Zitat von Arnold Sommerfeld beweist:

“In der riesigen Fabrik der Naturprozesse nimmt das ENTROPIE-PRINZIP die Stelle des Direktors ein. Denn es schreibt die Art und den Ablauf des gesamten Geschäftsgangs vor. Das ENERGIE-PRINZIP spielt nur die Rolle des BUCHHALTERS, der Soll und Haben ins Gleichgewicht bringt.” Arnold Sommerfeld, Vorlesungen über theoretische Physik, Band V Thermodynamik und Statistik, Wiesbaden 1962

Dass aber diese Entropie, der man bis dato immer Auflösung, Mischung, Unordnung und Expansion unterstellt hat, noch die sprachliche Bedeutung der Einkrümmung und Einkreisung sprachlich bereit hält, also das Hineindrehen in die Kehre einer neuen Form – das erst lässt sie heute und in Zukunft für die kosmologische Physik so wichtig werden.

(Verbunden mit der zeitlich-thermodynamischen Dimension samt Einkrümmung erfasst das Wort Entropie den gesammten Heidegger plus Einstein-)

Leicht gewusst ist, dass jede Sprache Ihre relativen Stärken als auch Ihre relativen Schwächen behauptet. Andererseits frage ich mich: Wo hat Deutsch Schwächen? Zumindest was die zeitliche Formodulation der Ernährung bis in die Verdauung hinein berührt, arbeitet die deutsche Grammatik als ein Verdauungs-Trakt, der so ziemlich alles elegant peristaltisch – durchführt. Das macht Ihre Fähigkeit, Potentiali-tät und Aktuali-tät (tät tät tät erätätätät) fließend in den Staudrücken und Entladungen (ung ung ung) präzise peristaltisch weiter zu schieben, ohne dass die Ursprungsworte dabei sehr verändert werden müssten.

Man schraubt oder steckt einfach ein ung – heit – keit – schaft oder – tät an und fertig ist die substantivische Laube. Oder man schraubt sie eben wieder ab und weiter geht’s.

Selbst wenn man in die Verdauung noch aufmerksamer hineinhorcht – däut da die zeitliche Dauer. Heftig. Ebenso das Gerät, das von etwas zeugt, das geraten ist. Aber gut. Wollen mal nicht übertreiben.

Dieser peristaltische Vorschub des grammatischen Deutschen, in der es seine Substantivierungs-Zelte oder: Jurten – hätte ich beinahe gesagt – auf Substantivierungs-Rast-Plätzen schnell auf und wieder abbauen kann – diese Mobilität also macht das Deutsche zu einer Steck- Klapp- und Camping-Sprache, Nomadensprache. Die Hütte einer Substantivierung ist schnell mal eben mit heit, keit, schaft, ung aufgebaut und wieder abgebaut. Das Material aber bleibt beinahe unverändert, wird handelnd samt der Wort-Tuche und Zelt-Heringe auf den Weg mitgenommen, um es an anderer Stelle erneut substantivierend wieder aufzuschlagen. Ja, deshalb lebt das Deutsche als eine „praktische“ Sprache, ein Reise-Werkzeug, technisch und deshalb nicht einfach, aber – zunächst – nicht als sonderlich elegante oder wortreich luxurierte Sprache.

Das Deutsche behilft sich mit Steck – und Klapp – Techniken: erzählen, abzählen, zuzählen, vorzählen, anzählen… (hierfür gäbe es im Lateinischen bereits drei bis vier ganz eigene Worte)

Deshalb kann man sagen: Das Deutsche entstammt einer „ziehenden“ Nomadensprache. Als eine echte Be-Wegungs-Sprache in der ZEIT. Deshalb eignet sich das Deutsche so gut zur Er-Zählung der Dialektik zwischen Statik und Dynamik. Hierin ist die deutsche Sprache ebenso transparent wie präzise und in ihrer physischen Relevanz unerreicht; eine Be-Weg-ung, die im Fluss der Zeit so in einer zeitlichen Be-Wegung substantivische Moment-Hütten aufstellt, den eigenen Werkzeugcharakter mitführt, bewegt, ja sogar vorzeigt – und diesen wieder auflösend – hier verflüssigt einlöst und handelnd verbal im wirbelnden Prozess er-zähl-bar wieder ins Ganze der fließenden Zeit integriert.

(Gegen diese originale und selbstverständliche Fähigkeit der deutschen Sprache, wirkt der ganze Derrida eigentlich von vorn herein angestrengt, schwächlich und sekundär. Derridas Versuch, Hegel zu „dekonstruieren“ blieb letztlich der Kamikaze-Angriff einer Stubenfliege gegen einen Flugzeugträger. Sicherlich deswegen auch besonders mutig.)

Als Nachteil oder gar als gefährlich gilt das leicht Schematische dieser innergrammatischen deutschen Camping-Technik, die dann auch schnell mal zum Stechschritt mutiert:

Tät. Schaft. Tät. Schaft. Ung. Tätärätätät….

Der unheimliche Vorteil aber bleibt: die originaldeutschen Trägerworte bleiben unangetastet und reichen als lebende linguale Fossile – wenn man aufmerksam hinhört – jederzeit ihre poetologischen Ur-Gene weiter. Wirklicher Wort-Reich-Tum, soll heißen: Der Luxus, für ein Ding mehrere fast gleich benennende Worte auszubilden, ist nicht Sache des Deutschen. Wortreichtum ist eine Frage von Sesshaftigkeit, eine Frage des „Zeit-Habens“. Wirklicher Wortreichtum blüht in gediegenen und verstädterten – Platz haltenden Zivilisationen. Wortwahlfreiheiten sind Sympthome der Luxurierung in stabilen und gut genährten, sophistischen Städten. In diesem Sinne kann Wortreichtum auch eine Sprache verfetten, ihr die Athletik nehmen.

Unter nomadischem Zeitdruck braucht man eine effiziente Sprache, eine dynamische, eher technische Sprache. Eine Grammatik des Campierens, des Auspackens und Wiedereinklappens und Weiterziehens, nicht so sehr des Habens und des Wohnens oder der BE-Schreibung. Zudem werden alle Worte in der nomadischen Bewegung einem hohen statistischen Auslesedruck unterworfen: Wirklich überleben können dann nur die Worte, die im nomadischen Generationenzug tatsächlich tauglich bleiben. Brauchbar. (Dürftig) Aber ohne Schnickschnack. Ohne Ballast. Also die wirklich treffenden, die wirklich guten Worte. Die unverrauschten. Die effizienten. Die stimmigen. Die deutlichen. Die Unmissverständlichen. Eben: Die deutschen Worte.

Deshalb würde ich sagen: In einem starken deutschen Wort wie zum Beispiel Gegen-wart sind ganze Bibliotheken und die Leben ganzer Nomadenzüge statistisch zu einem semantischen Diamanten hineinverdichtet. Das Original-Deutsche bietet in den Trägerworten nicht so einen hohen oder streuenden Wortreichtum; aber die Worte, die da sind, haben’s in sich.

In meiner Muttersprache leben Worte, die selbst schon Dichtung sind.

Ein anderer hoch verdichteter Diamant ist das Wort Be-Wegung oder eben Er-Zählung. In diesen Worten steckt der ganze französische Postsrukturalismus – noch bevor der überhaupt wusste, dass es ihn gibt.

Wenn man ein spezielles Ohr für diesen dringlichen Dichtungscharakter in den Worten selbst entwickelt, wird sofort klar, was im Deutschen nicht funktioniert:

Nicht funktioniert zum Beispiel der Versuch, die Ansprache im Sinngehalt von Texten, Literatur oder Prosa auf das Musikalische, also den Klang der Sprache zu übertragen.

Die Deutschen haben deshalb so bedeutende Musiker als Komponisten hervorgebracht, weil Ihre gesprochene Sprache – allein – zu genau ist, zu dicht an die Bedeutung gelehnt und auf sie angewiesen.

Im Deutschen fällt sofort auf, wenn jemand schwafelt. Oder posiert. Wenn er also redet, indes er nichts zu sagen hat. Rein musikalisch organisiertes Sprechen wirkt im Deutschen Gerät auf Dauer lächerlich. Das Deutsche Gerät verzeiht keine Gedankenlosigkeit. Das ist auch der Grund, warum deutschsprachige Dichtung und Literatur zugleich immer den Denker braucht. Die wirklich großen Schriftsteller und Dichter im Deutschen Gerät waren immer auch Denker, auch wenn sie oft falsch gedacht haben, aber sie waren Denker, oft sogar Ideologen, die etwas sagen mussten oder sagen wollten oder zu sagen hatten.

Erst dann, wenn das zu Sagende denkerisch führt, dann erst greift auch Prosodie, Lithurgie, Rhythmus, Hebung und Senkung im Deutschen. Dann kann auch das deutsche Gerät gewaltig musikalisch werden. Vorher nicht.

Was sich von Goethe eingehakt hat, sind Sinn-Verse und Sinn-Gedichte und Sinn-Zeilen. Also sprachliche Schöpfungen, die etwas zu sagen hatten und es dann gut gesagt haben, auch musikalisch. Kaum jemand merkt sich Zeilen, die obzwar musikalisch, nicht vom Sinn geführt werden.

Das seit geraumer Zeit beliebte Konzept des Dummen Dichters (der „ästhetische Dichter“ ) der zwar dumm ist, aber angeblich gut schreiben kann, oder besonders viel schreibt oder besonders schön schreibt, oder gar “automatisch” schreibt, funktioniert im Deutschen nicht und hat keine Perspektive, ausser als kurzatmiger Lustigkeits-Mops im Dada, Neodada oder Post-Dada. Früher oder später geht diesem Mops immer die Luft aus.

Ein deutschsprachiger Schreiber, der gedanklich inaktiv ist oder nur konservativ, oder interesselos (was das selbe ist) schreibt nicht gut, oder er schreibt nichts, das von dauerhaftem Interesse ist. Bei Musikern, Malern oder bildenden Künstlern verhält sich das anders. Die dürfen denkerisch inaktiv (aber nicht interesselos) sein, und können trotzdem berührende Werke hervorbringen. Aber schon beim so genannten Gesamtkunstwerk wie dem Film, dem Theater, wird’s mit Dummheit schwierig.

Die schlechte Nachricht lautet also: Wer im Deutschen Sprach-Gerät bleibende Literatur hervorbringen möchte, muss entweder Ideologe (Philosoph) sein oder ein Chronist im Sinne von Reporter – oder er entlarvt sich als Schwafler. Goethe war Ideologe. Thomas Mann war Ideologe (und Reporter) Schiller war Ideologe. Brecht war Ideologe. Kleist war Ideologe (und Reporter) Büchner war Ideologe. Heine war Ideologe. Musil war ein Reporter (und Ideologe) Kafka war Ideologe (und Reporter) Botho Strauss ist in seinen besten Texten Reporter. Ernst Jünger war in seinen interessanten Texten auch Reporter oder Ideologe. Rainald Goetz ist Reporter. (und manchmal Ideologe) Literarische Kunst entsteht dort oder kann nur entstehen, wo etwas berichtet, also reportiert wird oder wo Gedanken am Werk sind. Dies sollte für alle Sprachen zutreffen, aber im Deutschen fällt das Vernuschelte, das Unklare oder das Schwafeln schneller auf. Und das Sophistische fällt schneller auf die Nerven.
Wer sich im Deutschen Gerät auf das bloß sprachliche Singen verlegt, ohne etwas sagen zu können, oder dabei allzu bekanntes repetiert, der wird von diesem Gerät erbarmungslos als Schwafler enttarnt.
(Auch die beliebte Ironie kann sich im Deutschen Sprachgerät, trotz Thomas Mann, nie ganz sicher fühlen. Sie muss sehr gekonnt sein, und im Hintergrund einen starken Sinn-Attraktor projezieren, um nicht als Masche auf die Nerven zu fallen. (Auf die Dauer erlebt man Heinrich Mann als große Erholung von dem manchmal allzu gekünstelten und verklemmten Ironie-Manierismus seines Bruders )

Alles nichtideologische Summen, Ästhetisieren, Stammeln, Experimentieren, Nuscheln oder Singen – funktioniert im deutschen Gerät nicht auf Dauer. Bleibt lustiger Moment-Mops. Es kann bereichern und beleben, aber der Klang war und ist nicht das tragende Element des Deutschen.

Die noch schlechtere Nachricht lautet deshalb: Auch der „nur lyrische“ oder der interesselose „Dichter“ funktioniert hier nicht. Ein Gedicht oder ein Spracherzeugnis, das im Deutschen kein „Interesse“ hat, außer an sich selbst und seiner Klang-Form – ist blau umtüteter Müll.
Als Müll empfinde ich alle reinen Ohr-Texte – auch wenn sie sich auf die Tradition des DADA hinausreden können. Selbst die bekannte Beruhigungsformel, ein “Text” könne ja womöglich klüger als sein Autor sein, gehört zu den Betriebsfabeln der geschäftlichen Dummheit. Gute deutsche Texte werden von denkenden Autoren oder intelligenten Reportern oder Philosophen geschrieben und nicht von nichtdenkenden. Ob dabei alles im Schreibprozess selbst dem Autor immer direkt präsent ist, oder ob der Autor “korrekt denkt” steht auf einem anderen Blatt.

Aber zurück zur Sprache:

Das Wort Gegenwart also als dicht geschliffener Semant. Das, was übrig bleibt, nach Millionen von nomadischen Kilometern, tausenden Jahren und nach all den Dringlichkeitssignalen, draußen im Flackern der nächtlichen Wachfeuer vor den Warten, Zelten, Hütten und Tieren in einem großen gemeinschaftlichen Nomadenzug: Gegen-Wart, die auf das Gegen wartet. Gewärtigsein. Im Wachen. Im Wittern. Draußen am Feuer im technischen Dringlichkeits-Hochdruck der Zeit. Die deutsche Sprache „hat“ keine Zeit. Sie muss vielmehr selbst Zeit und Verlauf bewegen. Ihre Grammatik ist der Be-Wegung und dem Be-Wegen eingedrillt, der Er-Zählung und nicht so sehr dem gediegenen Platz-Halten der zivilisatorisch steinernden Sicherungen.

Deutsch ist – obwohl man das erstmal nicht glauben würde – eine schnelle Sprache, eine athletische Sprache. Sie ist eine Ruf- Sprache des Zurufs der Impulse in der Bewegung (die Betonungen liegen zumeist auf den ersten Silben. Die ersten Impulse müssen verstanden werden: Machen. Hier lang. Dort. Essen. Trinken. Jagen. Schlafen. ) und weniger eine ausgeprägte Steinsprache des Gemeißelten, der Erlasse und Dekrete in frühen zivilisatorischen Rechtsgebilden, wie das Lateinische. “Ad tempus concessa post tempus censetur denegata” Auch das Lateinische klingt trainiert, aber es hat keinen Gegner. Es ruht sich auf dem letzten Wort aus und wohnt hinter zivilisatorischen Befestigungen in der Behausung seines Gesamtklangs. Es glaubt, in der steinernden Ewigkeit angekommen zu sein. Das Deutsche dagegen ist Impuls, Schub auf der ersten Silbe und nomadischer Aufbruch. Los. Aufstehen. Anziehen. Einpacken. Mitkommen.

Deshalb eignet sich das Deutsche auch so gut für gebrüllte Befehle. Man muss gar nicht das ganze Wort verstanden haben. Die erste gebrüllte Silbe reicht eigentlich schon.

Die deutsche Sprache will etwas, den Aufbruch. Das Lateinische lässt verlauten, sichert ein Terrain und legt fest.

Der hier schreibt, vermutet, dass die wirklich unangenehme Widerständigkeit der Teutonen in den furchtbaren Wäldern hinter dem Limes der römischen Provinzen gegenüber den Legionären auch auf die beweglichere und praktikablere und damit etwas schnellere Funk-und Impuls-Sprache der Teutonen zurückzuführen war. Der impulsive Sprachschub im Deutschen kann schon Waffe sein. Eine Luftwaffe.

Im Deutschen also kann beinahe jedes Verb, jede handelnde Aktualität sehr schnell und unkompliziert zu einem Substantivierungs-Zelt potentialisiert aber auch wieder abgebaut und aktualisiert werden. Wenn man die Technik beherrscht. Temporäre Moment-Hütten. Die grammatische Mobilität des Deutschen bildet ihre ganze Raffinesse deshalb als Strömungssprache im nomadisch peristaltischen Schub-Zug der Grammatik aus, weniger in den Wortreichtümern oder Wort-Individualitäten, wohlklingenden Wortpalästen.
Für ein starkes deutsches Wort findet man kaum passende Synonyme: Mit welchem deutschen Synonym, das nicht gleich viel schwächer ist, kann man Gegen-Wart noch ersetzen? Oder Be-Wegung. Man findet keins.

Gegen ein Wort wie Be-Wegung oder Er-zählung wirkt der ganze französische Poststrukturalismus geschwätzig.

Es ist diese hoch erstaunliche, beinahe schon schmerzhafte Genauigkeit einiger Wortbildungen, die selbst eben schon anonyme Ver-Dichtungen sind – und jedes „künstlerische“ oder „lyrische“ Gezappel in Prosa oder Prosodie wie Stammeln erscheinen lassen, wenn sie sich dieser Sache nicht bewusst ist.

Ja, das hat – vordergründig betrachtet, auch etwas Hartes oder gar Primitives. Aber wer hier Primitivität vermutet, sieht eben nicht, dass diese Wortbildungen Ergebnis von Zeit und statistischem – natürlichem Zeit-Druck sind. Und nicht von künstlicher Frisur. Und ob harte Flusskiesel primitiv sind – darüber lässt sich streiten. Wehe – Sie werden poliert und besinnend in ein Collier eingefasst. Dann hat man es mit deutscher Philosophie zu tun.

Man darf hier auch die Frage stellen, warum im Deutschen ausgerechnet das Wort „Führer“ so ein explosives Ding wurde. Lauscht man etwas tiefer in dieses heute sehr unangenehme, fast verbotene Wort, hinein, entdeckt man sofort, dass „Führer“ nicht „Thron“ oder „Stuhl“ meint. Die Hierarchie, die im Wort „Führer“ benannt wird, gilt einer Dynamik in der Zeit, sie gilt dem Strom, dem Werden, dem Fließen, also dem Führen einer „Be-Wegung“. Wenn man mal für einen kurzen Augenblick die furchtbare Hitler-Scheiße bei Seite lässt, was sicher schwer fallen mag, fällt sofort auf, wie das in die „Führungskraft“ mit „Führungsqualität“ heutiger Stellenanzeigen eingeflossen ist und hier offenbar eine sprechende Wichtigkeit beansprucht, die Zeit meint, Dynamik meint – und nicht zwingend Vertikal-Hierarchie oder ewige Posten, Trone und Stühle.

Insofern muss man sagen, dass der „Führer“ von vorn herein ein nomadisches und damit ein auswechselbares Konzept anspricht. Ein Führer ist prinzipiell sterblich, weil ganz vorne ausgesetzt. Er hat eigentlich keinen festen Palast und bleibt der Witterung ausgesetzt.

Er gilt dem „Führen“ durch Wege und nicht dem Sitzen oder Tronen in Gründen, oder auf getürmten Stühlen, nicht auf alten Plätzen oder ewigen Gewissheiten. Ein großer Unterschied zum Lateinischen, zum Imperator.

Vielleicht handelt diese innere Grammatik auch von der Frage, warum es den Deutschen lange Zeit immer besonders schwer fiel, wirklich zivilisatorische Gesellschafts-Verhältnisse zu begründen oder gar zu akzeptieren, die echten zivilisatorischen Charakter zeigen. Bleibende zivilisatorische Übereinkünfte in Gründungen, die auf einem „platzhaltenden“ – ordnend imperialen Verständnis beruhen und weniger auf einem dynamisch nomadischen Hinein-Reichen in nomadische Weit-Reiche der Aufbrüche.

Auch die Zersplitterung und das Nichteinigwerden über lange Zeit könnte man dem impulsiven Moment der deutschen Grammatik zurechnen. Wo alle im grammatischen Schub-Zug – denken und sprechen, kann nichts so einfach einigend beruhigt werden. Wenn alle Nomaden sind, dann will jeder auch für sich ziehen.

Es wirkt schon in der deutschen Grammatik und damit eben auch im deutschen Denken ein Bewegungsdruck, der immer ein STAUDRUCK blieb und sich mit „Gründungen“ im Sinne von „Platz halten“ nie so ganz gut vertragen hat oder zufrieden gab.

Was dann immer dazu führte, dass „Die Deutschen“ – wenn sie „Platz“ wollten, zumeist nie weniger als ein weit hinaus reichendes „Reich“ meinten, das dann schnell mal auch die ganze Welt sein durfte.

Alles, was nicht in ein Reich hinaus Reicht oder nicht als Reich hinreichend projeziert werden kann, interessiert den grammatisch nomadischen Deutschen nicht.

Der Deutsche will sein Reich, und sei es nur in seiner Zwei-Zimmerwohnung.

Der Brite will sein Castel, was schon viel bescheidener und zurückhaltender klingt. Umrandeter.

Wobei in einem Reich immer schon der Verdacht hineingesprochen bleibt,
dass es wieder mal nicht ganz hin reichen könnte.

(Ganz im Gegensatz zu einem Imperium, dass sich mit der Vorsilbe Im – als einschließendes einfassendes Territorium interpretiert, als Platz haltend umrandet, während Das Reich immer als ein Experium nomadisch unruhig in das Hinaus Reichende ausstrahlt)

Unter einem Reich macht es der grammatische Deutsche nicht.
Sein Reich ist potentiell unendlich…grenzenlos und deshalb immer auch todesanfällig.

Selbst das schlimme „Volk ohne Raum“ gibt diesen gedanklichen semantischen Nachstellungen irgendwie eine fatale Stimmigkeit. Dazu passt auch, dass die Deutschen in Nordamerika neben Iren und Briten den größten Einwandererteil stellten. Beinahe wäre Deutsch die nordamerikanische Amtssprache geworden und nicht englisch.

Nach wie vor muss man auch akzeptieren, dass die dicken, fetten, berühmten und „ganz alten“ deutschen Städte wie Trier oder Kölln dann doch zumeist aus römischen Gründungen hervor wuchsen.

Während die genuin deutsche Art, Stätte zu interpretieren – auf Burgen und Festungen zurückgeht: Magdeburg, Flensburg, Hamburg, Naumburg, Brandenburg, Augsburg, Wartburg. Die Feste Burg: Gegen-Wart-Schaft. Wartburg. Graf-Schaft. Oder auf Furten, den frühen nomadischen Campingplätzen vor Grenzüberschreitungen: Frankfurt, Erfurt, Querfurt…

Schaffen. Anschaffen. Herbeischaffen. Abschaffen…ge-SCHÄFTIG bleiben. Burgschaft. Gerätschaft. Aschaffenburg. Das klingt zunächst alles nicht nach den sprachlichen Feingerüchen von zivilisatorischer Raffinesse und einem Einwohnen in gediegen ziselierter Vielfalt….

Eher nach robuster und praktischer Bevorratung für lange, kalte und harte Winter – Festungen. Burgen und Schaften. Was feiert der Deutsche? Er feiert Feste. Wenn etwas fest bleibt, stabil ist, dann freut er sich, dann hat er was geschafft – für diesen Winter. Dann hat er sein zugiges Nomadentum doch einmal in eine Feste Burg hinein verfestigt.
Dann feiert er die Feste.

So wundert es dann auch nicht, dass alle Worte, die auf lichtere oder transparentere Unterkünfte verweisen, die zwar stabiler sind als Zelte oder Hütten, aber weniger düster als feste Burgen, – aus dem römisch – lateinischen kommen. So zum Beispiel das sehr wichtige Fenster, Fenestra

Der grammatische Deutsche an sich war lange fensterlos. Duster. Zwischen den Extremen seines zugigen, wetterausgesetzten zelt- und hütten-nomadischen Daseins und seinen dick umbauten einschließenden Festen, den verfrorenen, soliden aber engschartigen Winter- und Wetter-Burgen hatte er für Fenster offenbar keinen passenden Wortbedarf. Scharten, Luken, Schlitze, Löcher vielleicht. Aber Fenster?

Das Fenster musste er als Wort und Ding aus dem Lateinischen importieren.

Und erst dieses Fenster, das ein – im übertragenden Sinne – grammatisches Wohnen in existenziell moderierter Mittellage ermöglicht. Eine grammatisch fenestre Existenz, die sich weder ganz in der Festen Burg düster verbarrikadiert noch ganz der Wetter-Zeitströmung des Ungeheuren im nomadischen Dasein aussetzt. Diese fenestre Mittel-Lage kennt der grammatische Deutsche nicht originär. Das hat er übernehmen müssen, lernend.

Das lateinische Fenestra erst entspannt die Existenz nach beiden Seiten. Erst das Fenster ermöglicht Zivilisation. Eine feine Glasscheide zwischen dem Sein und der Wirklichkeit.

Das Fenster. Vielleicht sogar die erste extern erweiterte Nachbildung einer Blut-Hirnschranke, halbdurchlässig trennend/verbindend zwischen innen und außen. Gar nicht nur im metaphorischen Sinne.

Das Fenster ermöglicht inneres Wohnen ohne gänzlich verbarrikadierten Einschluss und schützt trotzdem vor der scharfen Witterung und den meisten wilden Tieren. Das Fenster schreibt auch eine bestimmte neue Art von Gebäude vor.

Ein gutes Fenster entspannt die Lage. Es reguliert als dialektische Barriere. Ein gutes Fenster ermöglicht grammatische Diplomatie nach innen und außen – und nimmt dem Staudruck des grammatischen Deutschen etwas von seinen dynamischen Stauungen nach innen, und erlöst es auch etwas von den verbarrikadierenden und dickwandigen Festungs-Drücken gen Außen. Mit dem Fenster verschwindet die Düsternis der Burgen und Festungen aber auch das zugig Witternde der Hütten, Zelte und Verschläge.
Erst mit dem lateinischen Fenster wurde das Deutsche auch ein bisschen “gemütlich”.

Mit dem lateinischen Fenster bekommt das fensterlos grammatische Wehr- und Wucht- Deutsche mehr Transparenz und Lichtung. Und die grammatikalische lauernde Nomaden-Existenz muss nicht mehr so extrem gegen-wartend – harren – in feuernder Witterung.

Erst das Fenster verwandelt die harrende Gegenwart in ein entspannteres Präsens.

Wenn man das weiß, dann kann man ungefährdet wieder deutsch denken und deutsch sprechen und manchmal auch ein bisschen „heideggern“, sich an einem Wort wie Gegenwart oder Vergessen oder Erzählung oder Bewegung erfreuen.

Gegenwart. Welches Wort gibt die Dialektik zwischen einer dynamisch nomadischen Strömung und dem STAUDRUCK in Festen und Burgen, den Druckfesten und Seinsburgen im JETZT noch präziser und so überaus physiologisch wieder. Ich kenne kein anderes.

Aber in diesem inneren Widerstreit – in diesem Staudruck des Gegen-Wartens ihrer grammatischen Fügungen, bleibt die deutsche Sprache von der Genetik her enorm wach und vibrierend. Zeitempfindlich. Gegen-Wartend. Gefährdet. Harrend. Witternd. Hier gewogen und gewichtet. Weit reichend…

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert