TEUTONIKA – Leben in Deutschland

Das neue Dao: Konvektionswirbel. Luther asiatisch.

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Eine Konvektionszelle ist ein dissipatives Formungsverhalten, das auf gut einsehbare Art das Phänomen der dynamischen “Rückkrümmung” mit der Ausbildung einer neuen Form verbindet. Eine Verwirbelung. Ein dynamischer Wärmestrom strömt bis zu einer Mediengrenze, kühlt dort ab und krümmt sich wieder zurück. Um dann in Form eines kleinen Wirbels sich einkrümmend wegzurollen. Oder sich zu stabilisieren.
So ein Konvektionswirbel verbindet eine Dynamik mit einer Einkrümmung, und diese
Rückkrümmung kann bei ausreichend gleichmäßiger Energiespeisung unter bestimmten Voraussetzungen eine Form ausbilden. Eine Form kritisch stabilisieren.
Ein Konvektionswirbel wird von einem einströmenden Energiefluss aus der Vergangenheit eingebogen und biegt sich – wegdrehend – in Richtung Zukunft wieder auf.

Jede Idee der Erneuerung, die auf eine Gerechtigkeit hinauswill, begann bisher seltsamerweise immer mit einer ideologischen Rückkrümmung. Zurück zu…Retournons á la…
Luther: Zurück zum Originaltext. Zurück zur Bibel Zurück zum reinen unverstellten Glauben.
Jean Jacque Rousseau: Zurück zum freien gleichen Menschen im Gleichheitszustand der Natur.
Marx/Engels: Zurück (nach vorn) zum eigentumslosen Urkommunismus der Gentilgesellschaft. (Friedrich Engels Urkommunismus – “Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats.)

All das, all diese, haben nie reflektiert, wie sehr ihre Rück-Projektionen, all diese
Ur – Sprünge bereits an von der Vergangenheit anströmende Techniken der Schrift, der Archive, des Buchdrucks, und vorangegangender Wissenschaften gekoppelt waren.

Luther – griff zu auf Schrift, Klosterbibliothek: sind Techniken, die er nicht erfunden hat.

Rousseau griff zu auf Bildung, Buchdruck – Bibliothek, frühes Nachrichtenwesen: sind Techniken, die er nicht erfunden hat.

Marx/Engels – griffen zu auf Anthropologien/Wissenschaften/Archive/Schriften: Die sie nicht angelegt haben. Die sie nicht erfunden haben. Die sie nicht geleistet haben.

Wie blind ist also jedes “Zurück zu…” das nicht zugleich mitreflektiert, wie weit vorn es im Vektor der technisch informellen Bildung all diese falschen “Retournons…” konstruiert.

Denn das praktische Ergebnis all dieser “Retournons” war zivilisatorisch bisher immer Öffnung und Beschleunigung in den technologischen Vektor, und immer menschenzermalmend.

So katapultierte Luthers ‘”Zurück zu.” – halb Europa in die Modernisierung über die Leichenberge des 30igjährigen Krieges.
So katapultierte Rousseaus “Zurück zu.” die halbe Welt in die Modernisierung über die Leichenberge der Guillotine und der folgenden Napoleonischen Kriege in den Code civil.
So katapultierte Marx/Engels “Zurück zu” ein Russland in die Modernisierung von einem Feudalstaat über die stalinistischen Leichenberge in einen menschenzermalmenden Industriestaat.
Und so katapultierte Hitlers “Zurück zu” einer (arischen) Reinheit der Rassen die ganze Welt über die Leichenberge des Weltkriegs in die informatorische Jetztzeit.

(Dies sei auch all jenen nahe gelegt, die heute wieder “zurück zu Marx/Lenin” wollen.)

Luthers Reformation war, wie hier schon mehrfach angedeutet, keine Reformation und auch keine Revolution – sie war eine Detonation.
Sie detonierte als meta-physische Atombombe der Kirchenkernspaltung. Zufällig, leider, mit Deutschland und seiner Gemeinschaft im Ground Zero.
Eine zeitlang hörte man – und immer mal wieder – hört man auch heute noch die Behauptung, “die Deutschen” hätten nie eine eigenen Revolution zu Wege gebracht. Hätten sich nie aus eigenen Fähigkeiten zu einer Demokratie durchringen können. Die Deutschen seien zu dumm dazu. Darüber muss man durchaus streiten. Denn in Wirklichkeit sind all die Demokratien, die es dann irgendwann “geschafft” hatten, aus den verdichteten Trümmern am Rande der Schockwelle Luthers erstanden. Oder aber von der Reformation inspiriert. (auch der halbwegs glückliche Sonderweg der anglikanische Kirchen-Reform im England von Heinrich VIII wäre ganz ohne Luther als Vorhut wohl nicht zu denken.)
Die Ideen der Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, sind nichts weniger als lutherisch – metaphysische Kernspaltungs-Isotope des Protestantismus. Bei guter Laune kann man England, Amerika, Frankreich, als deutsche Demokratien bezeichnen.
Warum das in Deutschland selbst, im Kernland der Detonation, dem Ground Zero, immer wieder so furchtbar missglückt ist, auch darauf findet man die Antwort bei Luther. In zwei seiner Thesen heißt es:
92. “Darum weg mit all jenen Propheten, die den Christen predigen: “Friede, Friede”, und ist doch kein Friede.”
93. “Wohl möge es gehen all den Propheten, die den Christen predigen: “Kreuz, Kreuz”, und ist doch kein Kreuz.”
Luther macht hier klar, dass es weltlicherseits keinen gesichererten Anspruch auf “Einlösung” geben kann und geben wird. Man kann diese beiden Thesen nicht getrennt von einander lesen. Sie gehören zusammen.

Luther formuliert hier mit diesen beiden Thesen nichts weniger als den Gödelschen Unvollständigkeitsbeweis, intuitiv natürlich, aber immerhin. Er formuliert eine Komplementarität, einen 2. Hauptsatz der Information.

Ich übersetze einmal quantendynamisch:
Darum weg mit all jenen Beobachtern, die beobachten: Welle! Welle! – und ist doch ein Teilchen.
Wohl möge es gehen jenen Beobachtern, die beobachten: Teilchen! Teilchen! und ist doch eine Welle.

Ich übersetze atheistisch auf heute:
Darum weg mit all jenen Sängern, die singen: Natur, Natur – und ist doch Technik.
Wohl möge es jenen gehen, die predigen: Technik, Technik – und ist doch Natur.

Schließlich aber zeigt sich hier ganz überraschend eine strukturelle Ähnlichkeit mit dem asiatischen Daoismus. Luther hat im Prinzip hier eine Religion des “Weges” formuliert. Die beiden Thesen 92 und 93 machen klar, dass es keinen festen oder geschlossenen Kreis gibt, in dem man sich einrichten kann, keine Repräsentanzen des Seins. Das ist erstaunlich asiatisch. Die Thesen 92 und 93 könnten, würde man sie nachzeichnen, das ying-yang-Zeichen ergeben, dass auf einen Fluss, eine Bewegung abziehlt. Auf einen rotatorischen Wechsel der Mondphasen.

Ich übersetze mal 1/2 asiatisch:

92. “Darum weg mit all jenen Propheten, die predigen: “Zunehmend! Zunehmend! – und ist doch ein abnehmender Mond.”
93. “Wohl möge es gehen allen Propheten, die predigen: “Abnehmend! Abnehmend! und ist doch ein zunehmender Mond.”

Der einzige Unterscheid zum asiatischen Daoismus wäre hier lediglich die Wertung.
Denn im Asiatischen gäbe es keinen Grund, den einen Propheten zu verdammen und den anderen Propheten zuzulassen.
Luthers Problem aber war, dass er “gegen” etwas zu Felde ziehen musste. Gegen die Bereicherung. Luther stand im Kampf einer Auflehnung. Eine kleine Windung mehr und er hätte den Daoismus in Europa eingeführt. Denn für den Daoisten ist klar, dass nach einem abnehmenden Mond wieder ein zunehmender folgt.
Luther war also ein halber Daoist, auf einem Auge blind. Weil er noch gezwungen war, etwas zu verdammen, nämliche die voll gefressenen Ablasshändler.

Es kann nicht darum gehen, das klassisch asiatische Dao jetzt zu reanimieren, im Sinne einer Stillstellung in “Weisheit” und in budhistischer Gelassenheit, aber man kann sich die Frage stellen, ob es möglich ist, eine Regulations-Idee zu formulieren, die das formbildende westliche Element der mathematisch – technischen Repräsentation, die nun einmal unausweichlich global technisch ausstrahlt, auch bis nach Asien, mit einer “Ethik des auf dem Weg seins” zu verbinden. Wenn man einmal akzeptiert hat, dass die Zivilisation auf einem Weg läuft, oder in einem Fluss treibt, dann könnte diese “Neue Dao”
1. das Wissen dazu liefern, dass wir den informellen Fluss nicht verlassen können.
2. dazu aber das Bewusstsein geben, dass wir wenigstens unsere formgebenden Konvektionswirbel und Fließgleichgewichtsroutinen so dimensionieren, dass sie die Gefahren hoch energetischer Konflikte und Polspannungen minimieren.

Also noch einmal anders übersetzt, hieße das – jetzt aber ohne Lutherische Verdammung, in voller neu-daoistischer Ausführung:

92. “Darum her mit all jenen Propheten, die predigen: “Energie! Energie! – und ist doch Information.
93. “Wohl meinen all jene Propheten, die predigen:”Information! Information! und ist doch Energie.”

oder noch einmal anders:

92. “Darum her mit all jenen Propheten, die predigen: “Form! Form! – und ist doch ein Fluss.”
93. “Wohl meinen all jene Propheten, die predigen:”Fluss! Fluss! und ist doch eine Form.”

Konvektionswirbel. Dissipative Strukturen. Prigogine.

Man hätte jetzt ein Bewusstsein zur Stömungs-Richtung der In-formation im zweiten Hauptsatz. Aber zugleich wüsste man um die Formbildungsprozesse und Formnotwendigkeiten, ohne sie jedoch in einem Status-Quo zu verabsolutieren.

Das Neue Dao wäre keine Religion, sondern eine strömungsdynamische In-Formationswissenschaft, welche zunächst mal die informatorischen Tauschprozesse in der Geschichte zwischen Mensch und Technik erforscht, und daraus dann eine naturwissenschaftlich grundierte Ethik ableitet, die aber wie alles im Fluss immer eine dynamische Ethik bleibt, die ohne ein Jenseits und ohne Heilsversprechen aber auch ohne symmetrische Regulierungs-Illusion auskommt, dafür aber naturwissenschaftlich grundiert und für jeden einsehbar ein Naturgesetz erläutert – das man dann wieder, wie ein Ingenieur das Wärmegesetz, zur Konstruktion einer gelingenden planetarischen Gemeinschaft im Strömungsvektor der Dissipation anstellen kann.
Dieses Naturgesetz müsste demnach lauten:
Alles was du bist, hast du dir nicht allein zu verdanken, sondern dem historischen mensch-technischen Fluss, der dich formuliert hat. Dein Reichtum. Dein Leben. Dein Wissen. Deine Technik. Dein Geld. Deine Firma. Du bist ein geformter Konvektionswirbel der Information. Gib an den Fluss zurück, was er Dir gegeben hat. Nimm Neues aus dem Fluss und gib Neues wieder ab. Nähre die Fluss-Richtung, so wie die Fluss-Richtung Dich nährt.

Diese Naturgesetz müsste im Prinzip auf dem ganzen Planeten und in allen Kulturen verstanden werden können. Der Westen könnte es naturwissenschaftlich über dissipative Strukturen anehmen. Asien könnte es verstehen auch wegen der Nähe zum Dao.
Problematisch blieben radikalmonotheistische Jenseitsreligionen mit kryptokatholischen Repräsentationsstrukturen. Hier bliebe nur behutsame, wachsame, Überzeugungsarbeit und ein gesteuertes “Überfließen” lassen. Mehr Handys. Mehr Internet. Mehr Bildung. Mehr Coca Cola. Mehr Radio Energy. Mehr Sushi…auch in die entlegensten Regionen. Und noch einmal Bildung.

Von einer Einstellung müsste man sich hier allerdings verabschieden: Dass jeder Tag eine neue Schöpfung sei, und gleichsam ahistorisch isoliert immer alles wieder neu von vorn beginnt.
Dem ist nicht so. Jedes Individuum ist informell gekoppelt an den Strömungsvektor der Vergangenheit. Es hat gegenüber der Vergangenheit eine Verantwortung, wie jeder Konvektionswirbel sozusagen vom ankommenden Medium ebenso formuliert wird, wie von der Abgabe, in der Wiederaufbiegung in Richtung Zukunft. Was aber nicht heißt, dass ein Konvektionswirbel nicht auch seinen Ort im Fluss wechseln kann, aber auch dabei steht er immer unter dem Einfluss der Gesamtdynamik.

Schließlich wäre klar, dass der Fluss für alle umso komfortabler fließt, je breiter er wird und je mehr sich in die Konvektionsgesetze und Strömungsprinzipien einpassen.

Asymmetrische Gerechtigkeit.

Es gilt einzusehen, dass der Konvektionswirbel niemals ein ganz geschlossenes Gebilde sein kann, in dem sich eine ewig auf sich selbst referierende Symmetrie einer sich selbstgleichen Gerechtigkeit schließt. Es gibt weder ein themodynamisches noch ein ethisches, noch ein mathematisch logisches Konzept der totalen Geschlossenheit im Selbstgleichgewicht. Jede Utopie, die einen sich selbst gleichen symmetrischen Gerechtigkeitszustand einfordert, muss scheitern oder in flussverleugnender Starrheit in den Selbstbruch, die Selbstzerstörung laufen.

Dass sind die Lehren von Luther, Clausius, Boltzmann, Gödel, Planck, Prigogine, Marx, Stalin, Hitler…

Es muss aber möglich sein, die formzeugend dynamische Binnenspannung im Fließverhalten eines Konvektionswirbels, so zu dimensionieren, dass der historisch-informelle An – und Durch- Fluss, als ein “Für-Fluss” die Form fließend stabilisiert, als auch in der permanenten Selbstveränderung weiterbewegt. Eine Zivilisation im Bewusstsein ihrer bewegten Strömungsgeschichte, die – sich einbiegend und wiederaufbiegend – von Form-Moment zu Fluss-Moment sich öffnend-schließend ein gegenwartsfreundliches Flussbewusstsein erarbeitet – durch Forschung und Formung, durch Wirklichkeitswissenschaft, in der sie sich – in Veränderung – gegenwärtig bleibt.
Jede Selbstwiederholung wäre Illusion. Das gilt letztlich auch für alle Menschen, die darin lernen müssen, dass sie sich weiter in die Technik hinein biegen oder in prothetischem Verhalten rational in den Fluss schmiegen, in dem sie – immer andere, speziellere Techno-Formen ausbildend – sich abgeben.
Das so genannte “Zurück” kann nur noch synthetisch, ironisch zerklingen, als gut oder schlecht dotierter Elegien-Plüsch, als liebenswertes Phantasma, in einem ebenso liebenswerten wie angenehmen Spiel der Hobbys und der Zeitvertreibe mit Namen Kunst, Dichtung, Fliegenfischen, Bergsteigen, Wildwasser-Rafting… Selbstplausibilisierungs-Strategien der Eigentüchtigkeit…. aber das war ja länger schon bekannt.

Nicht von Religionen war hier die Rede, aber von Naturgesetzen.

Einbindung folgt.

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