TEUTONIKA – Leben in Deutschland

Ist die Nitribitt eine Nähmaschine?

„Als Leo Böwe im Spätherbst 1957 durch die Frankfurter Kaiserstraße geht, hört er vom Mord an der Edelprostituierten Rosemarie Nitribitt. Der Name setzt sich in seinem Kopf fest wie der Name einer Geliebten, der er nie begegnet ist.“ Dies sind die kurzen Zeilen auf dem rückwärtigen Teil des Schutzumschlags des Romans „Kaiserstraße“. Judith Kuckart beschreibt darin eine Familiengeschichte, die 40 Jahre bundesrepublikanischer Gesellschaft und Geschichte umfasst.

kaiserstr.jpg Es ist ein Blick hinter die Kulissen, der tief unter die Oberfläche Befindlichkeiten, Stimmungen und Wahrnehmungen einer Zeit von den Wirtschaftswunderjahren der 50er Jahre bis in die späten 90er Jahre, mit ihrem Gefühl eines allgemeinen Abstiegs in der schönen neuen Wirtschaftswelt, aber auch den Herausforderungen die angenommen werden, blickt. Nicht die große Politik ist das entscheidende, auch wenn der Waschmaschinenvertreter Leo Böwe es in dieser Zeit bis hin zum Landtagsabgeordneten der CDU im hessischen Landtag schafft, sondern die innere Familiengeschichte, die sehr sensibel über die Einwirkungen und Veränderungen der Außenwelt reagiert und sich auch wandelt. Und damit sozusagen im Mikrokosmos 40 Jahre Bundesrepublik Deutschland nachzieht.

Judith Kuckart ist ein sehr sensibler Roman gelungen, der viele tragische, ja tragikomische Elemente besitzt, die es so angenehm machen sich auf dieses Buch einzulassen. Und dies mit einem Überraschungsmoment am Schluss, der stark mit dem Titel verbunden ist, da sich dann erst der wahre Hintergrund des Romanortes erschließt. Die Geschichte der Familie Böwe ist keine Erzählung einer heilen Welt, vielmehr ein tiefer Blick hinter so manche gutbürgerliche Fassade, die nach außen hin mehr scheint als ist. Und gleichzeitig, ohne es zu propagieren, ohne es in den Vordergrund zu schieben, stellt sie eine der ewigen Fragen der Menschheit auf, der Sinnfrage, der Frage nach Sinn und Unsinn des täglichen Tuns und Schaffens. Ein Buch, das zum Nachdenken anregt, über unsere Land, über unsere Gesellschaft, aber auch eigene Sinnhaftigkeit. Und keine Sorge, die Überschrift dieser kleinen Betrachtung wird auch gelöst werden.

Bernhard Meyer

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