TEUTONIKA – Leben in Deutschland

Flutschfinger

Als ich 12 Jahre alt bin, ziehen meine Eltern berufsbedingt in eine andere Stadt. Ich stelle beim Jugendamt den Antrag, dass sie mich mitnehmen müssen. Müssen sie auch.

Meine Eltern ziehen also mit mir in eine neue Stadt und da in die Neubausiedlung. Damit bin ich automatisch ein Neubausiedlungskind. Was uns Neubausiedlungskindern alle gemein ist: wir wohnen alle in Wohnungen mit exakt dem gleichen Grundriß. Das hat den Vorteil, daß, wenn ich bei einem Nachbarskind zu Besuch bin, automatisch weiß, wo die Kekse stehen.

Und jede der Neubauwohnungen hat die gleichen extrem dünnen Wände. Ich liege also abends in meinem Bett. Meine Eltern liegen in ihrem Bett. Ich hör ihnen zu. Und sie mir wahrscheinlich nicht, weil sie haben ja zu tun.

Wir Neubausiedlungskinder standen dann in der großen Pause zusammen und spielten uns gegenseitig die vorgetäuschten Orgasmen unserer Mütter vor. Gut, dass wir verglichen haben.

Und der ungekrönte Schulhofkönig der nachgespielten Orgasmen war Johann Herzfeld. Besser kann man den Job nicht machen. Und ich weiß, wovon ich rede. Mir wurden in meinem Leben schon Orgasmen vorgetäuscht, die halte ich heute noch für echt.

Johann Herzfelds nachgespielte Orgasmen – mein lieber Scholli, die waren aber nicht von schlechten Eltern. Johann war so in seinem Element…er behauptete auch jedes Mal steif und fest, dass er gar nicht merken würde, wie er sich auf dem Boden herumwälzt.

Und obwohl Johann völlig gesund war – guter Sportler – gilt er bei den Lehrern bis zur achten Klasse als Pausenepileptiker.

Johann wurde von Tag zu Tag immer besser. Das machte uns Johann langsam ein bisschen unheimlich. – Wir wollten natürlich keinem was unterstellen –aber irgendwann mal kam uns der Verdacht, das Johanns Mutter wirklich… welche bekam.

Es gibt auch andere Verdachtsmomente. Im Sommer zum Beispiel: da schleichen wir Neubausiedlungskinder uns immer vom Schulhof, dann geht es ab zum Kiosk, ein Eis kaufen. Und der absolute Verkaufsschlager unter dem Kiosk-Eis war natürlich das legendäre dreifarbige Dolomiti – 40 Pfennig, kein Sommertag ohne Dolomiti.

Johann lässt das Dolomiti jedes Mal links liegen und wählt so dubiose Dinger wie „Brauner Bär“, „Flutschfinger“, oder „Ed von Schleck“.

Wie ich neulich hörte, betreibt Johann heute sein eigenes Nagelstudio in Sachsen-Anhalt. Wundern tut mich das nicht.

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