TEUTONIKA – Leben in Deutschland

Drei Könige und kein Jägermeister – eine Begegnung in Wolfenbüttel


Wolfenbüttel, Mai 2007.

Auf der Parkbank vor dem Schloss von Wolfenbüttel sitzen drei Könige – wenn Lessing recht hat, dass der Bettler „doch einzig und allein der wahre König“ ist. Eckart, Hubert und Karl sind zwar keine Bettler und auch keine richtigen Könige, aber abends, wenn die Touristen weg sind, gehört ihnen das Schloss mit Wassergraben, Gipsstatuen unter blühenden Kastanienbäumen ganz allein. Sie kennen sich seit ihre Kinder zusammen zur Schule gegangen sind und treffen sich hier auf der Parkbank, nee, keine Frauen. Das Lessing-Zitat gefällt ihnen gut und sie kennen auch den Tintenfleck von Lessing, als der sein Tintenfass in seiner Wohnstube an die Wand geschmissen hat. Den Tintenfleck kennen sie und die Wut, wenn einem nix mehr einfällt und man nicht mehr weiter weiss.

Auf den Spuren von Lessing, Casanova oder Wilhelm Busch gibt es in Wolfenbüttel viel zu entdecken ­ „viel mehr als Sie denken“ verspricht eine Tourismusbroschüre und empfiehlt einen Ausflug ins Umland, zum Golfclub Rittergut Hedwigsburg oder in die Saunalandschaft Okeraue. Bekannt ist Wolfenbüttel vor allem für das Residenzschloss, in dem die Herzöge von Braunschweig und Lüneburg residierten und die Herzog-August-Bibliothek mit dem teuersten Buch der Welt, dem Evangeliar Heinrichs dem Löwen. Und natürlich für den Jägermeister, einen Kräuterlikör, der seit 1935 hier gebraut wird. In der Fußgängerzone schmiegen sich Fachwerkhäuser aneinander und über der Apotheke am Harztorplatz mahnt eine Hausinschrift aus dem Jahre 1617: „Erhebe dich nicht in dem Gelücke / Verzage nicht in deinem Ungelücke / Gott ist der Mann der Gelücke und Ungelücke wenden kann.“ Hubert Dunkel, 64, ist schon vor Jahren aus der Kirche ausgetreten, weil sich Arbeitslosengeld und Kirchensteuer nicht miteinander vertragen. Er betont dennoch, dass er streng katholisch erzogen wurde: „Rauchen auf der Straße oder so, das gab’s nicht.“ Noch immer ärgern kann er sich über die Sprüche der anderen Schulkinder, die sich über seine Familie mit den achtzehn Kindern lustig machten: „Die Dunkelbande hammse uns genannt, haha, und ob wir bei uns wohl immer Stromausfall gehabt haben…“ Hubert war Grenzsoldat bei der GS-5 in Helmstadt, jetzt nach einem Unfall und dem Tod seiner Frau ist er Witwer und macht sich Sorgen über die steigenden Pflegekosten für die Tochter mit MS – „wenigstens kann man sich mit so einem Schwerbehindertenausweis sehen lassen.“ Den Schäferhund hat Hubert auf dem Müll gefunden, aber statt mit dem Hund im Park „bei den Haschpapas“ spazierenzugehen, sitzt er lieber mit den Kollegen hier unter den Kastanienblüten.

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