TEUTONIKA – Leben in Deutschland

Die Insel

23

Nur so lange sah sie ihn an, bis sie sicher war, er habe es registriert. Dann streckte sie sich und gähnte und sah aufs Meer hinaus. Hätte sie zu ihm sprechen wollen, wäre es lange schon geschehen, dachte sich Konrad.
  Sie hatte die Augen jetzt geschlossen und führte sich ein paar Fingerspitzen über die Stirn. Ein wenig verzog sie dabei das Gesicht; als hätte sie Schmerzen.
  Konrad begann zu überlegen, ob sie ihn vielleicht noch gar nicht bemerkt habe oder sich mit ihm einen Spaß machte und sich gleich neben ihn setzen würde.
  Doch sie stand auf und ging zum Meer.
  Gleich müßte sie die Wörter entdecken, ja gleich, gleich… nur das beherrschte Konrad nun. Aber Lena lief arglos in Richtung des Wassers. Doch plötzlich blieb sie stehen, denn sie sah jetzt die Buchstaben, las ein Weilchen, und drehte sich darauf langsam um. Erst stand sie noch sekundenlang da, schaute nur, bald aber lief sie auf Konrad zu. Schneller und immer schneller wurde sie, bis sie wild rannte, fast hilflos im Sand, und warf sich zum Schluß auf ihn und schrie Unverständliches in die Einsamkeit.
  Zunächst fühlte Konrad vor Verwunderung nichts, dann aber durchzuckten ihn heftige Schmerzen. Und als ihm der Ernst des Geschehens immer bewußter wurde, begann er sich heftig zu wehren. Aber nichts konnte er durchsetzen. Die Kraft, welche Lena entwickelte, und ihre Verkrampfung waren so enorm, dass Konrad seinen Widerstand aufgeben mußte.
  Nun freilich, in der Stille der seltsamen Verknotung, empfand Konrad plötzlich so große, ja bedrängende Angst, dass er nur noch frei sein wollte. Wie besessen schlug er Lena mit seinen Fäusten in den Unterleib, packte sie, nachdem sie ihn losgelassen hatte, und warf sie weit von sich. Dabei aber stürzte sie rückwärts und schlug, Konrad konnte es hören, mit dem Hinterkopf auf einen mächtigen Stein.
  Konrad wunderte sich, dass er die Kraft aufgebracht hatte, die Frau so weit von sich zu schleudern, und empfand sich erlöst. Doch dann lief er zu ihr. Regungslos lag sie da. Ihre Augen waren offen und ihr Gesicht völlig entspannt. Aber in diesem Augenblick sah er auch Blut. Es floß aus ihrem Mund. Tiefrot war es und tropfte in den hellen Sand. Schnell versickerte es, und nun erst begriff er, dass Lena tot sein mußte.
  Eben noch ihr starker Angriff. Jetzt unwiederbringlich auch nur eine einzige ihrer Bewegungen und jede vergehende Zeit für sie.
  Konrad ertrug bald die Situation nicht mehr und lief los. So als wolle er das Geschehene überholen und wieder neu beginnen: Sich dann nicht wehren, gar nie wieder wehren.
  Irgendwann blieb er stehen und sah sich um. Gerade noch konnte er Lena erkennen. Sie lag noch am selben Ort. Und er rannte weiter.

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