TEUTONIKA – Leben in Deutschland

Die Insel

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Dass die Frau so weit von ihm entfernt war, hätte Konrad nie und nimmer für möglich gehalten. Jeder Meter, den er lief, tat ihm deshalb unendlich weh, zerstöre ihn nach und nach von innen her. Konrad bewegte sich derweil vorsichtiger, stoppte nun hin und wieder und hielt oft aus geschützten Lagen heraus Ausschau. Fast einem Panther ähnlich schlängelte er sich durch die Pflanzen am Dschungelrand. Sein Gang war behend, schneller oder langsamer, aufrecht manchmal, meist geduckt, und so lautlos wie es ihm nur möglich war. Nie hätte er sich vorher ausmalen können, dieses zu beherrschen: Selbst mancher bunte Vogel bemerkte ihn nicht mal und blieb weiter sorglos zwischen all den vielen Düften sitzen.
  An einem späten Nachmittag entdeckte er sie dann, die Gesuchte. Das Wetter war schön, nicht zu heiß und die Sonnenstrahlung angenehm. Aus dem Schutz eines dichten lederblättrigen fast gelben Strauches sah Konrad sie sehr gut. Sie badete im ungewöhnlich seichten Wasser, wohl auf einer Sandbank. Dabei tauchte sie oft, blieb manchmal länger, manchmal kürzer verschwunden, schwamm dann und wann ein Stück dahin und tauchte aber meist wieder schnell ab. Und da das Wasser ihr nur bis zur Taille reichte, konnte sie sich mit den Füßen jeweils so sehr vom Grund abstoßen, dass sie immer wieder ausgelassen durch die Luft schnellte und dabei bis zum Wiedereintauchen eine dermaßen geschmeidige Lust am Bewegen zeigte, die Konrad entzückt an die Delphine erinnerte. Er selbst blieb still: Es war ihm, als könne er nur stören.
  Bald kam die Frau aus dem Wasser. Sie lief langsam und schlug dabei dauernd mit den flachen Händen auf die Oberfläche des Meeres, so dass das Wasser funkelnd aufspritzte. Später, am Land angekommen, blieb sie eine Weile stehen, wie zur Skulptur verwandelt. Sie hatte Konrad den Rücken zugewandt, und sah aufs Meer hinaus. Dunkel war ihre Haut, oder sie wirkte so nur im Gegenlicht der frühen Abendsonne. Und Konrad wußte nun nicht, war es ihre Einfalt, dass sie so starrte, als erwarte sie ein Schiff. Und er zog sich noch tiefer ins schützende Dickicht zurück, legte sich nieder und verfiel in Gedanken. Als er die Frau später noch einmal sah, hatte sie wieder ihr weißes Kleid an.
  In der Nacht schlief Konrad tief wie schon lange nicht mehr.
  Am nächsten Tag ging er wieder. Ihm war aber, als besitze er einen ungeheuren Schatz.

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