Nach Glühlampen hatte ich gesucht.
Kaum durchdringbar, eng, gehitzt, ein dünner Kohlefaden
glomm und später glühte, hellorange bis gelb bis weiß –
– zuströmt mir darin ein Motiv:
Ich sehe eine Villa, irgendwo bei Rudolstadt,
31. Dezember 1899
Vor dem Haus: Silvester, Null Uhr angeknipst – der Hundertjahreswechsel.
Frauen im Pelz, Lavendelsäbel, Herrschaft im Zylinder, Pferdekutschen,
Sektkanonen-Küsse, Lippenstift… und etwas abseits: Wird gepflegt gekotzt.
Ein Streichholz zischt im Schnee.
Ein Kürassier, sehr jung, in straffer Uniform, wirkt abgelenkt,
er steht, er raucht, er schwibbst, er schwankt, er schaut:
Ihn balanciert: Die damals neue Glühlampe.
„Wohl zuviel getrunken“ – fragt ihn der Lavendelsäbel.
Sie feuerwerkt elektrisch hoch das zwanzigste Jahrhundert.
Und hakt sich bei ihm ein.
Die damals neue Glühlampe.
Woher kommt dieses Motiv? Ich muss noch mal zurück.
…
Im selben Haus, am selben Tag, am Morgen:
Die Katze in der Diele nölt. Sie nölt.
Und fliegt im hohen Bogen – nölend – raus.
„Um Acht Uhr früh kommt der Elektrische…“
– die Dienstfrau sagt’s zum Herrn der Villa –
„..er kommt zum allerletzten Mal …“
Sie meint damit den Mann vom Strom, den Knipser,
Zieher, Schalter, Putzer – den „Elektrischen.“
Den Mann, der richtig kommt, zur rechten Zeit.
Die Villa, irgendwo bei Rudolstadt, sehr nah dem Hundertjahreswechsel,
überfällig längst, bekommt das neue Licht geklemmt zum letzten Tag.
Im Zangengriff, an frischem Putz durch Kupferdraht, und ganz zuletzt:
Die damals neue Glühlampe
„…er schaltet’s heut noch an. In allen Räumen. Seien Sie dabei -??“
„Ich werd’s wohl nicht verpassen wollen.“ – antwortet der Herr der Villa,
wirft den Mantel über – sagt: „Um Zwei bin ich zurück. Mit meinem Neffen.
Zum Fest hol ich ihn her, direkt aus der Kaserne, den Umschlag hier…“ –
– Er reicht der Dienstfrau ein Couvert – „.gib ihn dem Mann vom Strom,
im Falle unser Schimmel lahmt, was ich nicht hoffen will. Wir essen außer Haus.“
So begann – vielleicht – ein letzter Tag des 19. Jahrhunderts.
Ein Haus bekommt elektrisch Licht. So hatte ich’s mir vorgestellt.
Silvester 99, Glühlampen und Kupferdraht an Putz und: Schnee.
Alles ging glatt. Zur letzten Hand um Acht, kam der Elektrische
und stellte die Verbindung her.
Der Schimmel lahmte nicht, der Herr der Villa kehrt zurück
mit seinem Neffen, jungen Kürassier aus der Kaserne,
Das Fest zum Hundertjahresstart begann mit hellem KLICK.
“Ahhh! sieh an, sieh an, es funktioniert! Der gute Mann vom Strom!
Da stoßen wir jetzt schon mal an!”
. . .
Nach Glühlampen hatte ich gesucht –
– im – damals – neuen zwanzigsten Jahrhundert. Das wie begann?
Elektrischer Dezember? Wie war die Zeit?
Mühselig das täglich Brot, und Wärme war nicht überleicht zu haben.
Die Winter standen voller Rauch, geheizt wurde mit Holz und Koks,
in Straßen rückte Schwefel ein, und die ein Kind gebar –
hat oft den Tod dabei die Sichel ziehen sehn.
Wer sich kein Morphium leisten konnte, schrie seinen Krebs
zum dunklen Fenster raus. Kann sein, so manches Viertel in der Stadt
war davon laut. Der Zahn der Zeit biss schneller zu. Und fiel dabei so schmerzhaft langsam aus.
Petroleum oder Gaslicht waren vielerorts die Regel.
Warum begann das dann mit Kohlefäden?
Kohlefäden, die durchdrang ein Strom. Auch Lichtbögen gespannt
in Kohlestiften. Ein Übergang, ein Zwitter aus Gewitter und Karbon.
Gekohltes Cellulose, schwelt in Atem-Not, dann zwangsverpresst
in Luftabschluss, dann angeklemmt, der starke Widerstand,
ein Gleißen – hohes Ohm. Von Schwarz zu Schwarz , da brannte
weißes Licht, ganz atemlos elektrisch…
Lichtkohlewerke, – sie produzierten damals schon.
Wie begann das neue zwanzigste Jahrhundert?
Ich habe mich gefragt: Wie war sein junges Jahr? Ich stellte mir den Winter vor, idyllisch ganz in Schnee. Ein warmes Haus, elektrisches Silvester, Katze, Kürassier und Magd, die Glühlampen, der Sekt – knallt vor dem Tor.
Gekommen war dann dieses Bild: Badende am Strand.
Wo aufgenommen weiß ich nicht, das Datum aber stimmt.
Im Jahre 1900 wurde es – geknipst – ein Klick.
Warum hab ich ein Bild gesehn, das nicht zu meinem Thema passt.
Nach Glühlampen hatt ich gesucht. Und mir ein Haus gewünscht im Winter.
Was sieht die Frau, was sie nicht sehen kann, auf ihrem hellen Sand?
Das neue 20. Jahrhundert, beginnt es dort, bei ihr, in diesem Augenblick?
“Badende am Strand” – so hießen damals viele Bilder. Farbig meistens
und gemalt: Kirchner, Macke, Heckel, Marc…und wie sie alle hießen.
Das neue zwanzigste Jahrhundert – war noch jung. “Badende am Strand”
hieß sein Versprechen, stark sogar, sehr stark und sehr in Farbe…
Warum guckt sie so? Ist es: Das Bild? Was sieht sie? Sieht sie was?
Wann begann, was dann begann?
Begann es hier – das kohlichte Jahrhundert?
So friedlich plätschert Euer Meer – ist noch kein Blut und kein MG.
Sie wird gleich aufstehen, denke ich, und…
Sie denkt an nichts, ist nur – vielleicht – ein bisschen hungrig. Müde?
Sie bleibt. Und bleibt in ihrem Hundertjahr.
Ein Mythos zwanzigsten Jahrhunderts: „Badende am Strand“
hieß ein Versprechen. Wir alle wollten Luft und Licht.
Zwischen Schenkeln Schützengräben fielen seine Maler dann –
– ins Schwarz.
Das Photo klickt und schmerzt. Es schämt mich.
Nach Glühlampen hab ich gesucht – warum?
Die neuen hellen Dinger damals – neu. Bei Euch! Du kennst sie doch!
Sie war`n so neu, so rund, so knuff! Ein Klick und hell – ein SCHIMMER!
E l e k t r i z i t ä t – weißt Du noch?
—————————–Ihr ward sooo0000 lichtbegabt.
Das war so neu wie 1900 mit zwei Nullen.
Du dich erinnerst?
Wir kamen vom Spaziergang im dunkler werdenden Dezember
hinein in unser Zimmer –
– schalteten wir – Klack! –
Zogen die Schuhe – nicht aus. Doch machten das Licht wir –
An – sahen wir uns. Mitten im Raum des Dezember.
Die Reifen unserer Münder. Die von draußen eiskalte Hand
fuhr durch den Bund über deine heiße Bauchdecke…unter der warmen Glühbirne
im Raum, am Draht, unter der Decke, vom Kabel –
– die da leuchtete – in ihrer Fassung.
Wir waren fassungslos. Wir glühten. Habt Ihr das damals nicht gesehen?
Es ist Sommer 1900. Du bist am Strand, ich weiß,
Du sitzt in deinem Hundertjahr. Das Photo passt nicht ganz.
Was beginnt in deinem Augenklick?
Die Marne-Schlacht? Ein Gasangriff? Titanic?
Warum guckst du so? Lach mal. Lach doch mal.
Es ist doch noch gar nichts passiert.
Ich sage jetzt ein Wort, du lachst, okay?
Ich sage das Wort: Lamm-Fell-Schuh-Sohle.
Du hast gelacht, ich hab’s gesehen.
. . .
Ihr habt’s versaut, das zwanzigste Jahrhundert, so hoffnungsvoll begann.
Nichts habt ihr gesehen. Die Zeppeline nicht und keine Glühlampen.
nicht die Eisenbahnen, nicht die Telefone. Nichts habt ihr gesehen.
Futuristen hat es nie gegeben.
Futuristen ward ihr nicht.
Nicht reif ward Ihr dafür.
„Badende am Strand“
Ihr wart nicht auf der Höhe damals, habt’s versaut.
Der Typ da, vor dir, was hält der in der Hand?
Ein Marmeladenbrot?
Einen Heiratsantrag?
Einen Teddybärn?
Ich schätze mal und bin mir beinahe sicher:
Es ist ein Photoapparat.
Man drückt den Schalter. Es macht Klick.
Da wird’s gleich schwarz vor Augen – Material, das Negativ: wird schwarz.
Ein Knopf fürs Licht – nur leider in die ganz verkehrte Richtung.
Ein Klick, das Material wird schwarz, das Silber – 20. Jahrhundert.
Ist es das, was Du siehst, und doch nicht sehen kannst?
Ein Jahrhundert, das zu viel Silber belichtete
Aber viel zu wenig Licht gesehen hat.
Dabei immer dunkler wurde.
Nach Glühlampen hatte ich gesucht.
Hab gegen die Schwärze des Sommers auf die Helle des Winters gehofft.
———————-Wir waren so000 lichtbegabt.
Und haben uns doch zu viel Bilder gemacht.
Steh auf. Wenn Du nur jetzt aufstehen wolltest.
Zieh deine Schuhe an, beide Schuhe.
Geh über den Sand zurück auf die Straße.
Geh noch einmal zurück. Es ist noch nichts Schlimmes passiert.
Steh auf. Geh aus dem Bild. Geh aus diesem Bild.
Geh in den Winter zurück. Nimm deinen Lavendelsäbel.
Such den Kürassier.
Hake dich bei ihm ein und erzähl ihm
von der ELEKTROCHEMIE und der LICHTKOHLE
Sag ihm: Wir dürfen diesen Fehler nicht noch einmal machen.
Oder wir sind alle Zellulose.
Steh auf.
Mach dich auf den Weg.
Geh aus diesem Bild.
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