TEUTONIKA – Leben in Deutschland

Jordanische Wurst

Eines Abends – es war kurz nach acht – da schaute plötzlich der König von Jordanien in mein Zimmer. Im Glauben an einen harmonischen Abend mit mir allein aß ich gerade mein Lieblingsgericht der kalten Küche: Ravioli aus einer Dose der optimistischen Markenfirma JA!

Ich trug ein etwas zu kleines, ungebügeltes T-Shirt, dem man mein Ravioli-Essen bereits ansah, und dazu eine Boxershorts mit einem unorthodoxen Muster.

Das ist nicht die richtige Kleidung für einen Staatsempfang, dachte ich, obwohl ich nichts sonders viel Erfahrung mit spontanen Besuchen von Angehörigen eines außereuropäischen Königshauses hatte.

In Wahrheit hatte ich auch nicht sonders viel Erfahrung mit Spontanbesuchen von Angehörigen innereuropäischer Königshäuser.

Ein paar Mal hatten mich die missratenen Bengel von Prince Charles besucht, und einmal hatte König Carl Gustav von Schweden „Hallo“ gesagt. Aber das war etwas anderes gewesen. Carl Gustav hatte sich vorher durch eine Bediensteten ankündigen lassen, und mit den kleinen britischen Saufnasen war es eh viel lockerer zugegangen. Ich wusste zum Beispiel durch die Zeitung, dass es zu ihren Hobbys gehörte, sich zu betrinken, anonym bei Königin Elsabeth der Zweiten anzurufen und dann anonym „God save the Queen“ ins Telefon zu rülpsen. Ich hatte das auch schon ein paar Mal probiert, so konnten wir über unser gemeinsames Hobby Erfahrungen austauschen und kamen schnell und ungezwungen ins Plaudern.

Aber der König von Jordanien! Über den wusste ich ja nichts! Wenigstens fand ich meine Sprache wieder: Nehmen Sie doch bitte Platz, Ihre königliche Hoheit. Leider kann ich Ihnen jetzt kleinen Thron zum Sitzen anbieten, aber ich möchte Ihnen versichern, dass sich diese meine Sofapolster… alle Mühe geben werden, Ihre…äh, königlichen jordanischen Gesäßpolster mit der…äh, nötigen Hochachtung abzustützen. Wollen Sie nicht Ihre Krone ablegen? Moment – ich schau mal, was ich Ihnen anbieten kann.

Mein Kühlschrankinhalt bestand aus einer Scheibe trockenem Schmelzkäse mit vier nach oben gewölbten Ecken – er sah irgendwie aus wie ein intensiv designter Aschenbecher – 14 Nullkommaeins-Probierflaschen des Likörs „Suderwicher Pfläumchen“ und ganz hinten eine Packung Mortadella mit Pistazien der ratgebenden Markenfirma TIP.

Die Packung Mortadella liegt eigentlich immer in meinem Kühlschrank. Nicht, dass ich immer Wurst esse. Die Mortadella kaufe ich nur wegen meiner Mutter. Meine Mutter brachte mir früher, wenn sie mich besuchte, immer eine Packung Mortadella mit Pistazien mit. Und früher war sie oft zu Besuch. – Aus jeder Scheibe Mortadella leuchten zwei Stückchen Pistazie in hellem Grün. Es sind immer zwei Stückchen pro Scheibe. Das Pistaziengrün entspricht genau der Augenfarbe meiner Mutter. Es sind ja auch die Augen meiner Mutter. Natürlich bin ich der Einzige, der das weiß. Niemand kennt die Augen meiner Mutter so gut wie ich. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Markenfirma Gutfried haben sicher nicht die geringste Ahnung, was sie da als Pistazien in ihre Mortadella einarbeiten. Doch es gibt keine Zweifel. Wiederholt habe ich beim Öffnen der Kühlschranktür im Summen der Kühlschrankkühlung die Stimme meiner Mutter vernommen: „Isst du denn auch genug? Möchtest Du Dich nicht rasieren und Dir etwas Nettes anziehen? Schau mal Dein T-Shirt – das ist ja voller Ravioli-Flecken. Und soll ich Dir nicht die Haare schneiden? Sieh doch mal, wie Du aussiehst. So kannst Du Dich doch nicht sehen lassen. Komm – ich schneide Dir jetzt die Haare. Nun lass Dir doch mal die Haare schneiden. Sei doch nicht so empfindlich. Ich meine es doch gut mit Dir. Eine Mutter hat ihren Sohn immer lieb. Jetzt lass Dir von mir die Haare schneiden.“

Ich weiß natürlich, dass meine Mutter von dort, wohin ich sie gebracht habe, nicht mehr wiederkehren kann. Aber ich weiß auch, dass sie es in Teilen irgendwie doch immer wieder schafft. Und wenn ich einmal keine Mortadella kaufe, dann findet sie schon einen anderen Weg. Einmal zum Beispiel, da hat sie sich in ein riesiges Glas warme Milch mit Honig verwandelt. Fast wäre ich in der klebrigen Wärme ertrunken.

Ob der König von Jordanien wohl warme Milch mit Honig mag? Ich drehte mich. Der König war verschwunden. Wahrscheinlich hatte ich ihn zu lange warten lassen. Ich sah auf die Uhr… irgendwie muss ich wohl sechseinhalb Stunden vor dem Kühlschrank gesessen haben. – Mit dem jordanischen Königshaus habe ich es also gründlich verdorben.

Aber das ist einzig und allein die Schuld meiner Mutter.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert