„Salut“, ruft der progressive Vierzigjährige zum Abschied in den biologisch kontrollierten Eisladen, macht den ersten Schritt Richtung Heimataltbau und dippt seinen rechten Sneaker in einen weiteren Kothaufen. „Beschissene Köter!“ denkt er, sagt es aber nicht, weil sein wauwauliebender Sohn in Kraftausdruck-Hörweite sein Sojakaramelleis schlabbert. Immerhin – dieser Haufen ist bereits halbgetrocknet; ein Großteil verbleibt auf dem Steig. Und man muß auch das Positive sehen: Das neue Sohlenprofil seines Retroschuhs ziert das Exkrement in deutlicher Prägung. Er hat diesem Viertel sein Fußsiegel aufgedrückt.
„Aus der Niederlage in den Sieg getreten“, bonmotet er in sich hinein und bedauert, dass er diesen Beweis seiner rhetorischen Potenz der üppigen Jungmutter mit ihrer klassischen Schoko-Vanille-Tochter nicht zu Gehör bringen darf. Es würde Punkte bringen, sicher, sicher. Das Thema „Hund“ aber gilt es in all seinen Variationen bis auf weiteres zu vermeiden. Denn Nelson Mahatma, der kleine, fünfjährige Sonnenschein aus eigener Produktion, hat es sich mit seinem eindeutig dem mütterlichen Genpool zuzuordnenden Trotz in den Kopf gesetzt, einen vierbeinigen Freund in ihrer Leben zu holen. Und da verläuft nun einmal eine Grenze – selbst bei einem so unkonventionellen Junggebliebenen wie Sebastian, der auch bei seinen kritischen freiberuflichen Kolleginnen und Kollegen als durchaus libertärer Freigeist gilt.
Es wäre unfair, würden wir die Szene an dieser Stelle nicht für einen kurzen Moment einfrieren und die Pause nutzen, um seine spröde, bei dem speziellen Thema „Dein Kind und sein Haustier“ fast schon fragwürdig zu nennende pädagogische Grundhaltung zu erklären. Das sind wir Sebastian schuldig. Denn auch bei sorgfältiger Suche würden wir in diesem kinderreichsten Siedlungsgebiet Europas (ja, ja mitten in Deutschland) kaum eine Handvoll moderner Väter finden, die ihrem Sohn mit der gleichen Herzenswärme die Erfüllung seiner frühkindlichen Wünsche gönnt. – Nun ist es aber bei der artgerechten Hundehaltung nicht allein damit getan, dem Tiere mit den Worten „Wauwau, wauwau“ auf den schweifwedelnden Leib zu rücken und sich die Sojakaramelleisreste vom Gesicht lecken zu lassen. Der Hund im Haus schafft weitere Umstände. Sebastian denkt dabei gar nicht an die weiteren Kotmengen, die es dann zusätzlich aus Sohlenprofilen herauszukratzen gälte. Für das Behagen seines Kindes würde er tatsächlich allmorgendlich die Hunderunde machen und das tägliche Exkrement mit Einmalhandschuh in den Exkrementebeutel expedieren.
Um den Scheiß geht es nicht. Hund bleibt Hund. Darum geht es. Sei er durch die sanfte Hundeschule der Freundin eines Freundes an das Leben auf 145 m2 ökowachsversiegeltem Parketts auch noch so angepasst: Hund bleibt Hund. Und neun Meter goldendes Boxenkabel bleiben neun Meter goldenes Boxenkabel. Es sei denn, ein Hund kaut auf ihnen herum. Oder kratzt an ihnen. Oder sonst was. Da kann man ihm auch sonst noch so viele Privilegien einräumen… dankbar wird er sich nicht zeigen. Wenn ihm nach einem Kabelkau der Sinn steht, dann kaut er. Das ist die Natur der einfachen Wesen. So tut es der Hund, so tut es das Kind. Da kann man der Kreatur keinen Vorwurf machen. Was brächte es, wenn Sebastian nun spräche: „Nelson Mahatma, die Mutti und der Vati haben dir doch schon ein Tapetenareal überblassen, auf dem Du malerisch deine erste Kreativspuren hinterlassen darfst. Reicht das nicht? Musstest du auch noch deinen umweltverträglichen Buntstift mit der bleifreien Spitze voran durch die Membran meines stufenlos regelbaren Burmester-Hochtöners stoßen? Kannst Du nicht respektieren, dass meine Liebe zu hochwertigem Stereoklang bereits vor meiner Entscheidung, eine Vaterschaft zu tragen, vorhanden war? Nelson Mahatma: Gemeinschaft heißt Rücksicht von allen auf alle. Solange Dir das noch nicht bewusst ist, bist Du noch nicht bereit, die Verantwortlichkeiten eines Hundeführers in unserem Familienverbund zu tragen.“
Nein, Sebastian ist Träumer und doch Realist. Er weiß, dass er mit diesen Worten heute noch kein Verständnis erwarten kann. Später einmal, in einem partnerschaftlichen Vater-Sohn-Gespräch, wird er seinem Filius verständlich machen, dass “kein Hund in der frühkindlichen Phase” auch heißen kann, vom Vater zum späteren Zeitpunkt eine funktionierende High-End-Anlage zu übernehmen. Sebastian freut sich schon auf die glänzenden Augen des dann jungen Heranwachsenden. Bis dahin heißt es, Grenzen zu setzen, aber auch Freiräume zu lassen. Den Hund muß ich Dir verwehren. Dafür aber lasse ich Dich wild herumtollen, wie Du es kaum bei einem anderen Elter dürftest. Ja, reibe Dich an dem Schoko-Vanille-Mädchen. Auch wenn Du heute das gute T-Shirt mit der witzigen Aufschrift „Prenzl-Zwerg“ trägst, dessen Originalität wir weiß Gott mitbezahlt haben, reibe dich und störe dich nicht an den Schoko-Vanille-Flecken. Dein Vater versteht dich, mein kleiner Kreativer.
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