Mögen Sie rhetorische Fragen? Und warum nicht?

Unser Schulpeiniger hieß damals Wilhelm. Wilhelm war schon ein paar Male in der Grundschule sitzengeblieben, trotzdem aber nur unwesentlich älter (als unser Klassenlehrer).

Wilhelm hatte nun also nicht nur als einziger Schüler der Liebfrauen-Grundschule einen Führerschein der Klasse 1, er hatte sich zudem ein spezielles Hobby für die Schulpause ausgedacht:

Er veranstaltete mit seinen devoten Helfershelfern gut organisierte Treibjagden und trieb die Herde der verängstigten Restschulkinder in einer Schulhofecke zusammen. Dann griff er sich aus dem Gewimmel der Zusammengetriebenen ein einzelnes Kind und stellte ihm drei Fragen:

1. Gibt es einen Gott?

2. Kannst du den Tod überwinden? Und wenn nein – wo ist dein Taschengeld?

3. Stört es dich, wenn ich dir kurz ins Gesicht spucke?

Die dritte konnte ich bereits nach wenigen Erfahrungsmomenten als rhetorische Frage klassifizieren. Es war nicht wirklich von Bedeutung, was man antwortete. Ja, Nein , Entscheide Du. Ich hatte alles mal probiert, und Wilhelm spuckte immer.

Nun war ich auch schon damals, als ich noch klein war, kein großer Freund von rhetorischen Fragen. Also nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und bin in der großen Pause zu ihm hin. Wilhelm hatte mich schnell gewittert: Opfer? Willst du?

Wilhelm – ich hab dich noch nie um was gebeten, hörte ich mich sprechen.

Wilhelm spuckte mir ins Gesicht. Aber das war ja nicht wirklich mein Wunsch. Also sprach ich weiter: Danke. Aber ich hab noch einen Wunsch. Ich will eine neue dritte Frage. Eine mit einer fairen Chance.

Und dann musste ich lernen:

Der Mensch ist auch als Viertklässler nicht immer in der Lage, sich alle Fragen auszusuchen, denen er sich stellen will. Und ich war als Viertklässler so klein, dass, wenn man mich in den Wasserkasten der Toilettenspülung im Jungensklo steckte, man tatsächlich noch den Deckel zubekam.

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