TEUTONIKA – Leben in Deutschland

Bildungsauftrags-Amok.

Als ich mich gestern auf meinem Spaziergang absichtlich verirrte, führte mich mein fremder Weg an einem Schulhof vorbei, der auf seltsame Weise bevölkert war: Schüler und Lehrer beiderlei Geschlechts standen dort in großer Zahl; alle zeigten mir ihren Rücken und blickten zu einer improvisierten Bühne. Auffallend war, dass die Lehrer einen geschlossenen Ring um die Menge der Schüler gebildet hatten. Auf der Bühne zeigten sich zwei verschiedengeschlechtliche Erwachsene, die ich auch von meinem Beobachtungsstand aus an ihren Bewegungen sofort als Kunstlehrerin und Sozialkundelehrer entlarven konnte. Entlarven insofern, als dass beide unpassende Kleidung trugen, die sie zu Hip-Hoppern stilisieren sollte.

Mir erschien das alles so bemerkenswert,dass ich zu Papier und Stenographierblock griff und eine Mitschrift des folgenden Vortrages fertigte, die ich hier einstelle. Sollte ich gegen Urheberrechte verstoßen, sitze ich eben nach. Ich bitte darum, sich beim Lesen die entsprechenden Bewegungen und den passenden Rhythmus zu imaginieren.

Wir gehen Tag für Tag an einen grausamen Ort

Man beleidigt uns dort. Man missachtet unser Wort.

Wir gehen trotzdem wieder hin. Wir haben keine Wahl.

Denn wir sind Lehrer. Und das ist eine Qual.

Früher glaubten wir die schönen pädagogischen Ideen:

Bei jeder Aggression muß man die Ursachen verstehen.

Es gab den Elternsprechtag und Vertrauenslehrer

Wir hatten immer Verständnis. Das wurd immer schwerer.

Wie dämlich auch die Eltern, wie blöde auch ihr Blach (Lautspr. für Blag, Anm. d. Stenogr.)

Wir lehrten nach dem Motto: Der Klügere gibt nach.

Und nach Kants kategorischem Imperativ

Wir glaubten auch das. Doch das ging schief.


Doch jetzt! Doch jetzt! Hat das alles ein Ende!

Pädagogen dieser Welt! Hebt Eure Hände!

Wir haben diese Dummheit lang genug genossen

Fachliteratur zu Wurfgeschossen!

Wir haben viel erduldet und meistens geschwiegen

Doch sein eigenes Herz kann man nicht betrügen

Und ich hab nicht in Pädagogik promoviert

Damit ein militantes Erbsenhirn den Schulhof regiert.

Und damit Ihr versteht, was die Stunde schlägt

Haben wir diese lächerliche Kleidung angelegt

Denn Hiphop versteht Ihr. Deutsch nicht so gut.

Was man an Noten und Sprache auch krass merken tut:

Zwölfjährige Bubis ohne Haare am Sack

radebrechen von „bitches“ und von „motherfuck“

Und einen Relativsatz kann auch der Klassenidiot:

Hör zu, Alter: Du bist schon relativ tot.

Doch jetzt! Doch jetzt! Hat das endlich ein Ende!

Pädagogen dieser Welt! Ballt endlich Eure Hände!

Stoppt die Doofen! Denn wenn wir das versäumen

Dann leben wir bald alle wieder auf den Bäumen.

Und nach nur fünfzig Mal Bitten kommen die Eltern vorbei

Natürlich nicht am Vormittag. Sie schlafen ja bis drei.

Und der Vater wüsst auch nicht, warum er hier sei.

Und: Lehrer ist doch kein Beruf! Die haben ja dauernd frei!

Und das Kind ist nur als Schüler so. Zuhause weiß er brav

Dass er nicht an die Pornos und die Waffen darf.

Doch bevor ich Papi zurück in die Trinkhalle schick

Da macht es bei mir zum ersten Mal: Klick!

Selbst Oscar Wilde unter Absinth

griffe bei euch zum Waffenspind.

Statt wie sonst zu verzweifeln und uns zu besaufen

Werden wir heute Bildungsauftrags-Amok laufen!

Amok ist malaiisch und heißt: Rasen vor Wut

Was der durchschnittliche Schüler einmal wöchentlich tut

Diesmal sind wir schneller und wir rufen im Chor:

Jetzt handeln wir! Und wir kommen Euch zuvor!

Ich weiß: Die Gutmenschen werden das nicht begrüßen

Doch ich lass mich nun mal furchtbar ungerne erschießen

Und in diesem Punkt bin ich wirklich etwas stur:

Auch nicht, weil der Schütze Stress hat mit dem Abitur.

Die Türen sind zu. Der Schlüssel ist fort.

Und niemand verlässt diesen heiligen Ort

Bevor er seine Liebe zur Lyrik entdeckt

Und sich die Finger nach allen Philosophen leckt

Es geht um die Erkenntnis. Es ist völlig egal

Ob freiwillig oder aus Angst und Qual.

Ihr dürft frei wählen im Unterricht:

Meine oder Goethes Faust ins Gesicht.


Denn jetzt! Denn jetzt! Ist das alles zu Ende!

Pädagogen dieser Welt nehmen Waffen in die Hände!

Ach, Du willst Dich nicht in deinen Klassenraum begeben?

Du sollst auch nicht gehen. LAUF UM DEIN LEBEN!

Hier endete der Sprechgesang. Sofort danach rückten die kreisbildenden Lehrkörper nach vorne und trieben die widerstandlosen Heranwachsenden zurück in das Schulgebäude. Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass es in der Nachkriegsgeschichte deutscher Schulhofleerungen jemals eine noch schnellere organisierte Leerung gegeben hat. Alles geschah nahezu geräuschlos. Die Tore schlossen sich. Was im Inneren passierte, vermag ich weder zu berichten noch mir auszumalen.

Aber eines weiß ich: Der Sprechgesangstext war viel zu lang. Da scheint jemand eine Menge Freizeit zu haben. Ich sag es ja: Lehrer ist doch kein Beruf! Die haben ja dauernd frei!

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