TEUTONIKA – Leben in Deutschland

Kleine Städte, kleingemacht

Irgendwo in unserer Mitte, da wohnt auch der kleine böse Stadtplaner. Ja, der, der den Plan ausgeheckt hat – den Plan, alle Städte mit einer Population von unter 120.000 Menschen gleichzumachen.

Da wohnt er. Und er freut sich. Was mich ärgert. Denn er freut sich über das Gelingen seines Planes. Bald, freut er sich, bald schon werden alle diese Städte meine neuen, immergleichen Stadtkerne haben.

Ich ärgere mich. Solche Stadtkerne sind wie die eigene Toilette: man kennt die Örtlichkeiten blind auswendig und betritt sie nur, um ein dringendes Geschäft zu erledigen.

In allen Städten mit einer Population unter 120.000 Menschen, da hat man auf dem gepflasterten Marktplatz vier Erdkreise mit gleich großem Radius in die Pflasterung gezogen. In jedem dieser Erdkreise steht nun einsam eine Birke und träumt traurig vom großen gemeinsamen Blätterrauschen im Wald.

Inmitten des Marktplatzes – jetzt endlich auch in unserer Stadt – die Erlebnisgastronomie, in der mir der Erlebniskellner das Erlebnisbier bringt. In der Erlebnisrechnung mit inbegriffen: der Erlebniswitz der Woche! Wie bringt man eine Katze zum Bellen? Mit Benzin übergießen und anzünden: WUFF!

Nicht, dass es in diesem Stadtkern keine Veränderung mehr gäbe. In so manchem Ladenlokal, das nun “Pfiffige Geschenkideen ab 1€” feilbietet, hat im letzten Jahr noch ein Mobilfunkanbieter seine speziellen Klingeltönungen angeboten. Andererseits wiederum prangten nun über den Türen diverser ehemaliger Resterampen die Neonzeichen professioneller Mobilfunkvermittler. Wie dem auch sei: Die Summe der Pfiffigen als auch der Mobilen ist in Stadtkernen mit einer Population unter 120.000 Menschen eine Konstante.

Und auch sonst ist alles in diesem Stadtkern aufeinander abgestimmt. Die Bettler müssen alle aussehen wie Harald Juhnke, der einen Bettler spielt. Sonst dürfen sie nicht betteln – egal, wie sie auch betteln. Die Straßenmusiker spielen unplugged die Musik, die in den Kaufhäusern und Boutiquen hinter ihnen elektronisch dudelt. Und selbst die noch nicht vom emsigen Reinigungspersonal entfernte große Pfütze an frisch Erbrochenem bemüht sich, nach Duftbäumchen zu riechen und sich in ihrem Farbton zwischen Pastellrose und Pastellminze zu halten. Und irgendwie scheint sie einem zuzuflüstern: Ja – ich liege gern hier zwischen den Schaufenstern mit frechen Seidenblusen und Joghurt mit rechtsdrehender Kultur!

Neulich einmal war ich bei einem Nachtspaziergang einen Moment lang unaufmerksam. Eine riesige Gans von güldener Farbe fasste mich am reißfesten Kragen meines Markenhemdes und trug mich in eine weit entfernte andere Stadt mit einer Population unter 120.000, von der ich nicht einmal den Namen wusste. Dort setzte sie mich inmitten der vier traurigen Marktplatzbirken nieder und verschwand.

Und ohne dass ich etwas bestellt hatte, servierte mir der Erlebniskellner den Erlebniswitz der Woche: Wie bringt man einen Hund zum Miauen? Schockgefrieren und dann ab durch die Kreissäge: MIIIIIIIIAAAAAAAAAAAUUUUUUUUU!

Was soll ich sagen? Der Heimweg war der gleiche, der Schlüssel passte in die Tür, die Wohnung war dieselbe, und dort wohne ich noch heute.

Beschwert hat sich niemand in der ganzen Zeit. Höchstens einmal darüber, dass ich die modernen Steintreppen des Hausflures nicht ordnungsgemäß befeuchtet habe. Und natürlich nicht bei mir, sondern direkt beim Hausmeister.

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