TEUTONIKA – Leben in Deutschland

Zyklus oder Der Grund zur Schule.

Ach, du liebe Grundschullehrerin! Wo ist Dein Elan?

Was hast Du doch früher für einen Spaß gehabt, mit den kleinen Quälgeistern aus Deiner 3 b) umzugehen. Und wie schnell du immer die richtigen Worte gefunden hast: Nein, Hansi, wir wollen jetzt nicht über Oralsex reden, wir wollen jetzt lieber etwas aus der Mundorgel singen.

Ach, Grundschullehrerin… das bist Du nicht mehr so gerne.

Und jetzt findest du beim Korrigieren im Diktatheft vom kleinen Uwe Höltmann auch noch einen Liebesbrief an Dich. Ausgerechnet vom kleinen Uwe Höltmann, der am ungeniertesten Popel isst. Ausgerechnet Uwe Höltmann, der bei Eurem Klassenausflug ins Vogelparadies Bad Rothenfelde sein ganzes Geld schon an der Kasse ausgegeben hatte – für drei winzige Wellensittiche aus Glas. Dem du dann auch noch Geld leihen musstest, damit er sich auch Pommes Frites zum Essen kaufen kann.

Na, ja – immer noch besser als die Popel.

Du hast das Geld bis heute nicht zurückbekommen, fällt dir dabei ein. Das ist aber eine schlechte Basis für Eure Beziehung.

Und überhaupt erreicht Dich dieser Brief aber in so einem schlechten Moment. Du hast aber auch so eine schlechte Laune, hast Du aber auch. Denn ausgerechnet heute hast du auch noch erfahren müssen, dass es einem schwedischen Forschungsteam gelungen ist, die Gesänge der Buckelwale zu dechiffrieren und in die menschliche Sprache zu übertragen. Die wunderbaren Gesänge der Buckelwale! Deine Lieblings-Compact-Disk!

Nun musst Du zur Kenntnis nehmen, dass es sich bei diesen „Gesängen“ ausschließlich um derbe Zoten und ausführliche Beschreibungen sexueller Perversionen aus dem absolut schweinischen Leben der so genannten sanften Riesen handelt.

Da hast Du also so oft des Abends auf Deinem IKEA-Sofa „Brömmelöö“ – mit kastriertem Kater Max und einem Fläschchen Valpolicella für 4 Mark 99 – gelegen und zugehört, wie sich vollkommen vulgäre Meeresbewohner Na, alte Fischfresse, heute schon gefickt? zurufen.

Jetzt verstehst Du auch, warum Käpt’n Ahab In Herman Melvilles Moby Dick immer so angewidert Da bläst der Wal gerufen hat.

Na ja, Wenigstens bleibt dir der Valpolicella. In Krisenzeiten erkennt man seine wahren Freunde.

Und der kleine Uwe Höltmann aus der 3 B) gehört aber ganz bestimmt nicht dazu. Aber ganz, ganz, ganz bestimmt nicht nach dem dritten Glas Rotwein. Hui – da tanzt der Rotstift über seinen Brief. Und was er alles für schöne Fehler gemacht hat! Hoppala! Mit acht Jahren sollte man aber wirklich noch nicht versuchen, „sympathisch“ zu schreiben, hehehe.

Schnell noch ein paar Zeilen unter den Brief: „Lieber Uwe, das ist aber mal ein lieber Brief, den du mir da geschrieben hast. Leider kann ich Dich erst so richtig lieb haben, wenn du fehlerfrei schreiben kannst. Vorher darf ich Dich nicht heiraten – das ist verboten für Lehrerinnen.“

Den Brief ins Diktatheft, das Heft in die Tasche zu den anderen Diktaten, den Rest Valpolicella in Deinen Kopf, Deinen Kopf auf das Kissen Deines IKEA-Kissens „Arnavik“ – und Gute Nacht!

Als Du am nächsten Morgen vor der 3 b) stehst und die Diktate austeilst, kannst Du Dich noch sehr gut an den Valpolicella erinnern…leider aber überhaupt nicht mehr an den Brief.

Die Jahre ziehen ins Land.

Es verändert sich so einiges: das IKEA-Bett „Arnavik“ ist dem „Baum-Im-Raum“-Bett Schlaraffia gewichen. Das Vogelparadies Bad Rothenfelde hat seine Pforten für immer geschlossen, Der Valpolicella kostet jetzt 4 Euro 99. Du weißt noch, wie sie damals behauptet haben, dass nichts teurer wird. So ist das Leben.

Und dann, an einem Dienstagabend, es nieselt draußen ein bisschen, schellt es plötzlich an Deiner Tür. Dein alter Kastratenkater Max hebt den Kopf: wer mag das sein? Die Flurdielen knarren leise unter Deinen norwegerbesockten Füßen. Du öffnest die Tür.

Da steht ein ansehnlicher junger Mann, dessen lächelnde Gesichtszüge Dir irgendwie seltsam bekannt vorkommen. In der Hand trägt er einen kleinen Strauß Buschwindröschen, der farblich perfekt in die IKEA-Vase „Snurra“ passen würde. Da bin ich, sagt er, und ich habe gestern mein Studium abgeschlossen.

Dann aber erstirbt sein Lächeln; sein Blick wandert ganz langsam an Dir hinunter. Er schaut Dir noch einmal in die Augen, sagt dann Nein, dreht sich um und geht. Den Strauß nimmt er mit.

Ach, Du liebe Grundschullehrerin… mach Dir mal keine Sorgen um den Uwe. Er wird mit dieser Enttäuschung schon fertig. Er hat doch studiert. Übrigens auf Lehramt. Grundschullehramt.

Was hat er doch für einen Spaß, mit den kleinen Quälgeistern aus seiner 2 a) umzugehen. Obwohl: es ist nicht mehr der gleiche Elan wie am Anfang. Und jetzt findet er beim Nachsehen der Hausaufgaben im Hausaufgabenheft von der kleinen Katrin Berg auch noch einen Liebesbrief an ihn.

Ausgerechnet von der kleinen Katrin Berg, deren Brillengläser immer so unappetitlich verschmiert sind. Ausgerechnet von der kleinen Katrin Berg, die mit einer solchen Hingabe Popel isst, dass Uwe selbst fast schon wieder Lust bekommt. Ausgerechnet von der kleinen Katrin Berg, die eigentlich immer heult, wenn man sie vor der Klasse anspricht.

Die immer so heult, als wüsste sie schon heute, dass der Valpolicella einmal viel, viel teurer sein wird, wenn erst ihre Zeit als Grundschullehrerin gekommen ist.

Ach, Du liebe Grundschullehrerin – was hast Du da nur angerichtet.

Ach, Du Scheiße.

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