TEUTONIKA – Leben in Deutschland

Chronist einer vergangenen Welt

Schongeertmak.jpg der Titel des Buches „Wie Gott verschwand aus Jorwerd“ war in diesem ersten Halbjahr einer der schönsten, die auf dem deutschen Buchmarkt erschienen ist. Das Buch des niederländischen Publizisten Geert Mak, wurde jetzt nach langen Jahren als Taschenbuch herausgegeben, wohl auch, weil der Autor gerade im letzten Jahr einige Erfolge in Deutschland feiern konnte. Geert Mak bringt uns ein Stück Idylle wieder, eine Betrachtung, die nachdenken lässt über den rasanten Wandel, der der europäischen Gesellschaft in den letzten 150 Jahren widerfahren, aus deren Entwicklung die urbane Gesellschaft unserer heutigen Tage hervorgegangen ist. Zugleich lässt es und schlicht und einfach ein Stückchen Niederlande kennenlernen, das eben auch abseits der größeren Metropolen liegt.

„Der Untergang des Dorfes in Europa“ , wie der Untertitel des Buches lautet, ist eine exemplarische Darstellung der Veränderungen, die durch die verschiedenen Industrialisierungs- und Modernisierungswellen hervorgerufen wurde. So verebbte in der mit Beginn des 20. Jahrhunderts das gesellschaftliche Leben, als „das Radio Einzug hielt und danach das Fernsehen, von dem sich niemand mehr loseisen konnte.“ [S. 13 u.], einhergehend mit der Steigerung und Verführung der Bedürfnisse, die der urbanen und schließlich auch der ländlichen Ökonomie einen tiefgreifenden Wandel unterzogen. Nicht jedes Dorf ist das gleiche in seinen Entwicklungen, doch es ist frappierend, wie sich das Phänomen Globalisierung sich immer stärker zu einer Auseinandersetzung zwischen urbanen Siedlungszentren und dem ländlichen Raum entwickelt und dies nicht nur in Europa, sondern weltweit – vielleicht sogar die Hauptlinie in der Auseinandersetzung. So führt der Streifzug durch die Geschichte des friesischen Dörfchens Jorwerd, das in den letzten 100 Jahren um die Hälfte geschrumpft ist, durch das gesamte Poutpourie der Standardisierung, ja Industrialisierung der Landwirtschaft, dem Zuzug der Städter in den 60er und 70er Jahren, der Veränderung der Kulturlandschaft zur Kunstlandschaft und mittels Renaturierung wieder an den Anfang zurück, dem Verschwinden von Tagelöhnern, kleinen Handwerksbetrieben und Krämerläden, die Veränderung der kulturellen Traditionen. Sehr schön allein die Beschreibung der Veränderung des ländlichen Geruches durch den Wandel der Landwirtschaft zu einer subventionierten Intensivlandwirtschaft. Es sind aber auch die negativen Seiten der hohen Sozialkontrolle, die innerhalb der dörflichen Gesellschaft herrscht, nicht verschwiegen, die durch den Konservativismus der Bauern und der daraus resultierenden Dorfbeklemmung begründet sind.

Geert Mak hat kein Trauerbuch über die vergangenen Zeiten geschrieben, er stellt nur fest. Er ist Chronist einer Entwicklung, deren Schlüsse der Leser selber ziehen muss und dies macht es auch angenehm, sich mit diesem Buch zu beschäftigen. Und nachdenkliche Schlüsse kann man zuhauf daraus ziehen, geht doch auch mit dem Untergang des Dorfes auch ein großes Stück kultureller Identität verloren, die auch nicht durch die aktuelle Entwicklung eines neuen Dorfstolzes aufgehalten wird. Das Friesische in den Niederlanden ist nur ein Beispiel, wie durch das Verschwinden der Dörfer – und Kleinstädte einmal einbezogen – ganze Sprachen verloren gehen. Sitten, Gebräuche und Traditionen gehen verloren, auch wenn unermüdliche Menschen verzweifelt daran arbeiten, zumindest die Erinnerung daran zu bewahren. Unserer Gesellschaft geht ein großer Teil ihres kollektiven Gedächtnisses verloren, zurück bleibt ein ausgehöhlter, leerer Kokon, dessen einstigen Wert man vielleicht einmal schätzen wird, wenn man ihn unwiederbringlich verloren hat.

Bernhard Meyer

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