TEUTONIKA – Leben in Deutschland

Wie Göring Kondome gegen Burgen tauschte

Geschichte wird in großen Zügen geschrieben, sie ist umfassend und immer in Zusammenhängen aufzufinden. Doch nur zu häufig, weil auch verständlich angesichts der Masse, verliert sich das Auge fürs Detail, wird vergessen, dass Geschichte auch aus Geschichten besteht. Einen solchen Mikrokosmos haben die beiden journalistischen Historiker – oder umgekehrt – Götz Aly und Michael Sontheimer mit „Fromms“ erschlossen, zur besseren Verständlichkeit sei der Untertitel des Buches „Wie der jüdische Kondomfabrikant Julius F. unter die deutschen Räuber fiel“ gleich mitbenannt.

frommsneu.jpg Es ist ein spannendes Buch, das uns in die ersten Fünfzig Jahre Deutschland des 20. Jahrhunderts mit nimmt. Fromms sind Ostjuden, wie sie in dieser Zeit häufig einwanderten, die sich im Scheunenviertel in Berlin niederließen, einer der berüchtigsten Ecke der damaligen Metropole. Durch harte Arbeit, hartes Sparen arbeitet sich die gesamte Familie innerhalb weniger Jahrzehnte nach oben, allen voran Julius Fromm, der mit seiner Kondomfabrikation und seinem Namen gleichwohl zum Synonym für eben dieses Produkt wird. Begünstigt durch die Erfordernisse des Ersten Weltkrieges und seinen Feldbordellen wird innerhalb weniger Jahre eine Massenproduktion geschaffen, die im Jahre 1931 50 Millionen Kondome hervorbringt. Das Novum hierbei ist die dreifache Sicherheitsprüfung und die Entwicklung von Produktionsverfahren, die bis heute gelten. In den ersten Jahren der Naziherrschaft noch unbehelligter als andere jüdische Geschäftsleute, wandelt sich dies nach den Olympischen Spielen 1936 mit dem Beginn einer Kampagne im „Stürmer” deutlich.

Das Ende in Deutschland ist abzusehen, zu begehrlich die Blicke von Nazi-Größen auf das Vermögen und die Fabriken von Julius Fromm. Es ist schließlich Hermann Göring, der sich den Zugriff organisiert, die Fabriken umwendend bei seiner Patentante Elisabeth von Epenstein gegen zwei Burgen (Veldenstein bei Nürnberg, Mauterndorf bei Lungau) umtauscht, um seinen langehegten Traum des Burgbesitzers zu verwirklichen. Fromm emigriert mit dem ihm verbliebenem Vermögen nach England, wo er kurz nach Kriegsende stirbt. Dem kundigen Leser fallen in einigen Passagen doch bekannte Bereiche auf, die von Götz Aly bereits in seinem Buch „Hitlers Volksstaat“ thematisiert wurden, insbesondere bei der Schilderung der Arisierungsvorgänge. Dennoch verbleiben viele Facetten, wie beispielsweise ein Einblick in die Architekturgeschichte, da das neue Fabrikgebäude ganz im modernen Stil der „Neuen Sachlichkeit“ gestaltet wurde und hier auch ein kleines Stück Berliner Stadt- und Gesellschaftsgeschichte der Weimarer Zeit aufgerollt wird, die das Buch so zu einer kurzweiligen Abendlektüre werden lassen.

Bernhard Meyer

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