Unter Ketzern

Eines der großen Mysterien der Geschichte stellen die Katharer, was zu allen Zeiten Mythensucher und Träumer, Bestsellerautoren und Forscher auf den Plan gerufen hat. Um die letzte Katharerfestung Montségur ranken sich bis heute Phantasien und Legenden, galten die Katharer doch als Hüter des heiligen Grals. Vom SS-Forscher Otto Rahn bis zu Bestsellerautoren, wie dem englischen Trio Baignet, Leigh und Lincoln reicht die Bandbreite der Autoren. Schon vor einigen Jahren widmete sich der Autor Lothar Baier in seinem Buch „Die große Ketzerei”, das im Verlag Klaus Wagenbach erschienen ist, der seriösen Seite der Katharer-Forschung.
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Er enthüllt ein politisches Ränkespiel um Macht und Religion, das in dem ersten großen Kreuzzug der katholischen Kirche mündete. Dabei wird aber auch gleichzeitig der Scheinwerfer auf eine Kulturlandschaft gerichtet, das zu diesem Zeitpunkt als Okzitanien nicht dem Frankreich in seinen heutigen Grenzen angehörte, und in der einst die europäische Hochkultur vor dem Untergang bewahrt wurde, der Provence, dem Languedoc. Es sind die politischen Auseinandersetzungen zwischen den okzitanischen Grafen, angeführt von dem Grafen von Toulouse, und dem französischen König, der diesen doch recht unabhängigen und eigenständigen Landesteil unter seine Herrschaft bringen möchte. Unterstützt wird der französische König dabei von der katholischen Kirche, die dem französischen Eroberungsfeldzug den Segen eines Kreuzzuges gibt, der mit erbarmungsloser Härte gegen die Katharer geführt wird. „Gott wird die Seinigen schon erkennen.“, ist ein berühmt gewordenes Zitat kirchlicher Würdenträger auf die Frage, ob bei der vorangegangen Metzelei unter einer eroberten Stadtbevölkerung zwischen Katharern und Katholiken unterschieden worden sei.

Die Katharer selber, in Italien nach der Stadt Albi Albingenser benannt, stehen in ihrer Lehre vielen kirchlichen Dogmata entgegen, die in diesem Konflikt um ihren Alleinvertretungsanspruch kämpft. Die katharische Lehre, die viele gnostische Elemente aufweist, ist geprägt von einem extrem ausgeprägten Manächismus, dem Dualismus zwischen weiß und schwarz. Zudem lehnt sie die gesamte kirchliche Hierarchie ab, setzt dieser ein eigenes System entgegen, in dem die religiösen Spitzen, die „Parfaits“ in absoluter weltlicher Entsagung leben.

Lothar Baier schafft es, dieses mythenumwobene Stück europäischer Geschichte eindrücklich zu schildern, ohne sich zu stark – wie es vielen anderen ergangen ist – von den phantastischen Legenden wie der Gralsgeschichte einwickeln zu lassen. Aber auch die gekonnte Darstellung des politischen Ränkespiels als wahren Hintergrund dieser Auseinandersetzung ist es schon wert zu lesen, wenngleich man in manchen Bereichen doch etwas Disziplin anwenden muss, um nicht aufzugeben. Denn die Faktenmenge, die preisgegeben wird, ist einfach enorm und es fällt auch dem geübten Leser schwer, all diese immer präsent zu haben. Und damit ein Grund, das Büchlein gleich zweimal oder öfter zu lesen.

Bernhard Meyer

Meyer & Meyer

Meyer & Meyer

Bernhard Meyer 34 Jahre Buchhändler Zur Zeit Wanderer in verschiedenen Lebenswelten, schreibe ich in meiner Freizeit Rezensionen und Lyrik. Letzteres wird vielleicht nun öfter mal hier zu lesen sein. Neben dem beruflichen Leben steht auch vielfältiges Engagement im gesellschaftlichen und politischen Bereich. Aktueller Lieblingsdichter: August Stramm

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