Der morbide Charme des Fremdwortes

Die düsteren, extremen aber um so ausdrucksstärkeren Bilder im Gedichtzyklus „Morgue“ haben ihn bekannt gemacht – jeder Abgänger einer höheren Schule hat so meist bereits einmal in seinem Leben Bekanntschaft mit Gottfried Benn linkhausklein.png erfahren. Nachdem Lyriker es im Literaturbetrieb meist doch sehr schwer haben, soll der Fokus einmal auf den dichtenden Arzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten – einen „Nebenberuf“ braucht es halt dann doch – gerichtet werden, der weit mehr geschaffen hat, wie seine morbiden Schockgedichte der Morgue, die die Abgründe einer Großstadt in zynischer, ja nihilistischer Weise beleuchten.
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Zugegeben, es sind keine Gedichte für weiche Gemüter und seine späteren Gedichte, wie sie in ihrer Gesamtheit im netten Büchlein „Sämtliche Gedichte in einem Band“ aus dem Verlag Klett-Cotta versammelt sind, bedürfen oft einiges an Gedanken, ja Gedankenspielen und Phantasie, um sie zu ergründen. Das Büchlein hat ein nettes Format, das es erlaubt, es auch mit hinaus in die Natur, auf die Zugfahrt, auf den Wegen, die man so einschlägt, mitzunehmen, zu sinnieren und zu lesen. Benn war, gerade auch wegen seines Flirtes mit den Nationalsozialisten, immer eine äußerst umstrittene Person, aber er bleibt auch gerade wegen seiner Bruchlinien im Leben einer der größten deutschsprachigen Lyriker des 20. Jahrhunderts.

Er ist es, der das Fremdwort in die deutsche Dichtung einbringt – bis hin zum Exzess im Spätwerk der 50er Jahre. Seine Schriften für den nationalsozialistischen Staat und Kulturbetrieb sind erschreckend, doch das böse Erwachen und die späte Erkenntnis beginnen bereits früh im Dritten Reich. Schon mit der Entscheidung im so genannten Expressionismusstreit zwischen Goebbels und Rosenberg wird klar wohin die Reise geht. Gottfried Benn zieht sich ins Private zurück, vor allem nachdem er 1938 nach einigen kritischen Schriften von der Reichsschriftumskammer mit einem Schreib- und Veröffentlichungsverbot belegt wird.

In den 50er Jahren ist er der stille, aber nicht minder streitbare Beobachter der jungen Bundesrepublik Deutschland, in dessen Gedichten der frühere harte Zynismus und Nihilismus der sanfteren Ironie mit sarkastischen Einschlägen gewichen ist. Gottfried Benn hat im 20. Jahrhundert vier Epochen deutscher Geschichte und Gesellschaft lyrisch und gedanklich begleitet. Gemischt ist dies mit Skizzen und Bildern der kleinen Nebensächlichkeiten des Lebens aus Caféhäusern oder Bars. Dies allein macht es immer wieder wertvoll, sich von Zeit zu Zeit eines seiner Gedichte zu lesen, da hier auch die Gedichte aus dem Nachlass, sowie die poetischen Fragmente aus den Jahren 1930 – 1955 versammelt sind.

Bernhard Meyer

Meyer & Meyer

Meyer & Meyer

Bernhard Meyer 34 Jahre Buchhändler Zur Zeit Wanderer in verschiedenen Lebenswelten, schreibe ich in meiner Freizeit Rezensionen und Lyrik. Letzteres wird vielleicht nun öfter mal hier zu lesen sein. Neben dem beruflichen Leben steht auch vielfältiges Engagement im gesellschaftlichen und politischen Bereich. Aktueller Lieblingsdichter: August Stramm

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