TEUTONIKA – Leben in Deutschland

KaDi – DAS INTERVIEW EXKLUSIV.

“Wir haben Angela Merkel unterschätzt”

Peter Struck über die schwierige Lage der SPD, das schlechte Ansehen der Politiker und willkommene Rügen des Verfassungsgerichts
PStruck_kHerr Struck, Sie sitzen seit 1980 im Bundestag, da hat noch Helmut Schmidt regiert. Ist es der SPD je so schlecht gegangen wie heute?

Sicher, gerade die letzten Tagen der Schmidt-Regierung, davor die Auseinandersetzungen in der Partei um den Nato-Doppelbeschluss, das waren auch schwere Zeiten. Wir hatten auch schon bessere Zeiten, das ist wohl wahr, aber wir werden auch wieder bessere Zeiten bekommen. Da bin ich nach 45 Jahren in der SPD ganz gelassen.

Spötter sagen, wenn Mitleid wahlentscheidend wäre, hätte die SPD noch eine Chance – wie sehr schmerzt das?

Das schmerzt schon sehr. Ich fordere: Mehr Gerechtigkeit für die SPD! Mehr Respekt! Und aber auch mehr Gelassenheit. Was wir in der Koalition zur Bewältigung der großen Probleme beigetragen haben, kann sich ja sehen lassen. Da sind wir völlig unterbewertet in der Öffentlichkeit. Besonders ärgerlich ist, dass die CDU überhaupt nichts tut. Die Kanzlerin macht auch nichts und steht trotzdem gut in den Umfragen.

Was ist denn falsch gelaufen?

Es war schon immer eine Frage der Kanzlerschaft. In unserem politischen System wird vieles am Regierungschef festgemacht, selbst wenn es die Fachminister sind, die die Arbeit erledigen. Und denen ja auch dauernd zugearbeitet wird. Dazu kommt das Dilemma, dass wir es auf der einen Seite mit einer CDU zu tun haben, die wir in der Koalition zu sozialerer Politik gezwungen haben und auf der anderen Seite mit einer Linken, die uns dazu, na sagen wir mal: veranlasst hat.

Hat die SPD Angela Merkel unterschätzt?

Am Anfang gewiss. Wir kannten sie als Oppositionsführerin, da war sie nicht sehr eindrucksvoll, war grau. Durch die Kanzlerschaft ist sie in eine Position gekommen, in der sie ausgesprochen listig wurde. Wie ein kleines, sehr schlaues Tier, das eine gigantische Population sicher führt.

Und was ist in der SPD in den vergangenen neun Monaten falsch gelaufen? Seit dem Sturz von Kurt Beck ist die Partei in der öffentlichen Wahrnehmung überhaupt nicht vorangekommen.

Aber die Partei ist offener und auch gefestigter, das ist schon ein Wert an sich. Außerdem wird die Wahl ja nicht am nächsten Sonntag entschieden. Wir wissen, dass sich 25 Prozent erst in den Tagen vor der Wahl entscheiden, für wen sie stimmen. Gelaufen ist gar nichts. Auch für uns nicht.

30 Prozent ist auch ein schönes Ergebnis, hat Henning Scherf gesagt …

Da hätte Henning mal besser geschwiegen. Willy Brandt hat mit diesem Satz und 43 Prozent mal riesigen Ärger bekommen …

Steinmeiers Deutschland-Plan hat 67 Seiten, sein Wahlkampf-Team 18 Mitglieder – ist das nicht alles zu viel des Guten, müsste er sich nicht auf wenige schlüssige Botschaften konzentrieren?

Das wird noch kommen. Frank-Walter kann schlecht verdichten… anfangs! Entscheidend ist aber, wie er, der Kanzlerkandidat ankommt. Und Frank-Walter Steinmeier hat ein gutes Ansehen. Die Leute fühlen das nur noch nicht überall, draußen im Lande.

Teilen Sie die Analyse, dass vor allem die Hartz-IV-Regeln und die Rente mit 67 die SPD von vielen ihrer Wähler entfremdet hat?

Ja.

Aber sind dann die Architekten dieser Politik, Steinmeier und Müntefering, nicht die falschen Leute an der Spitze?

Nein. Es gab ja keine Alternative zu dieser Politik, die die Finanzwelt stabilisiert hat.

Nur Ihre Wähler verstehen das nicht?

Den Menschen muss wieder bewusst werden, dass es ohne SPD in der Regierung noch viel unsozialer in unserem Land zugehen würde.

Das Bundesverfassungsgericht hat jetzt gleich in drei Fällen gerügt, dass der Bundestag seine Rechte nicht hinreichend wahrgenommen oder die Regierung sie verfassungswidrig beschnitten hat. Wie schmeckt das einem Fraktionsvorsitzenden?

Sehr lecker. Ich bin in erster Linie Parlamentarier, und es ist immer hilfreich, wenn das Verfassungsgericht sagt: Gebt dem Parlament mehr Rechte.

Aber es waren Entscheidungen gegen Ihre eigene Regierung.

Ja, trotzdem: so ist das Leben. Wenn ich als Koalitionsfraktion einen Kompromiss machen musste, gegen den die Opposition in Karlsruhe klagt und Recht bekommt, freue ich mich wie ein Kind.

Sie waren auch Verteidigungsminister und für den Afghanistan-Einsatz verantwortlich. Sind Sie zufrieden mit dem bisherigen Ergebnis?

Nein, damit kann man nicht zufrieden sein, Die Situation ist ja sogar gefährlicher geworden seit meiner Amtszeit. Aber ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass es richtig ist, dass wir da sind. Mein Satz, dass Deutschlands Dummheit auch am Hindukusch verteidigt wird, gilt bis heute.

Was halten Sie von der Debatte über das Fehlen eines Ausstiegsszenarios?

Wir können das Land erst dann verlassen, wenn es sich selbst verteidigen will. Das kann aber noch viel länger dauern, als ich leben werde. Wir dürfen uns da keine Illusionen machen.

Frei nach einem Interview von Holger Schmale in der BERLINER ZEITUNG, vom 5. August 2009

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