TEUTONIKA – Leben in Deutschland

Erste Liebe 69

Hochstand eines Jägers, meine Liebste,
erzähln wir uns davon, in jenem Sommer
zielte dein Onkel auf wilde Schweine,
wenn sie denn kamen, ja wenn –

– aber meistens kamen da keine –

Genau, Förster war er, mit Hund und Flinte,
stolz auf eine Kriegsverletzung,
“Mein Splitter wandert heute wieder”
So sagte er es, scherzhaft meistens,
im Hochsitz überm Flieder.

Du hast ihn begleitet…

Manchmal, ja, ich bin hinaufgestiegen,
die Leiter, hoch zu ihm, in diesen Baum.
Klaus hieß er, der Onkel, Papas Bruder,
saß in seiner Hütte, oft, ganz still
ne ganze Weile, rührte sich kaum.

Er lauerte. Er wollte schießen…?

Nein, ich glaub, er wollte nicht jagen.
Nur ganz alleine sein an diesem Ort.
Das Gewehr lag meistens einfach so
am Boden rum, er nickte nur kurz
wenn ich zu ihm kam.
Er schickte mich aber nicht fort.

Worüber habt ihr dann geredet?

Garnicht, wir haben geschwiegen.
Heruntergeschaut in den Wald, übers Feld
Ich saß dabei mit angezogenen Knien
seitlich von ihm, die Hütte war groß.
Groß genug für ne getrennte Welt.

Das war in den Sommerferien?

Öfter ja – und an den Wochenenden.
Wir sind zu ihm hinaus gefahren,
Motorrad – das mein Vater lenkte,
die Mutter hinten und ich vorne,
mit der Tasche – ziemlich überladen.

Neunundsechzig, im Sommer, da schien,
ich erinnere mich, der Mond einmal
direkt in den Ansitz, Butter, ganz voll,
schob er sich ins Aussichtsfenster
der Jägerhütte. Anblick war riesig – war toll.

Der Sommer, in dem ich Dich kennenlernte –

Ich war für ‘nen Job in das Kaff gekommen.
als Schlossergeselle für schwarzes Geld
ne Landmaschine war da zu schweißen.
Abends dann habe ich mich gefragt:
Wo kann ich hier paar Mädels aufreissen.

Gib nicht so an!

Der Vollmond, sagst du, schien in die Hütte?

Ja, Du und ich haben noch nix gewusst
voneinander, vom Sex noch nicht viel,
und nix von den Küssen.
ich weiß noch wie schüchtern Du warst,
ein Junge vor allem Wissen.

Gut, ich geb’s zu, aber das Försterhaus
stand ja auch abseits von allen Wegen
wie hätte ich denn wissen können
von Dir, deinen Ferien, der Hütte, dem Mond
Abends beim Wirt, allein dann, verlegen.

Du weißt, das erste Mal trafen wir uns
beim Wirt in der Kneipe, genau an dem Tag
der Apollo-Mission – den besten Fernseher
des Dorfes, hatte der aufgestellt, allen
zu zeigen, was Menschheit vermag.

Ja, im Sommer neunundsechzig sahen wir
zum ersten Mal den Mond ganz nah
schwarz – weiß, am Tag, wir beide
aber sahen uns zum ersten Mal in Farbe.
Weißt du noch wer wen als erster sah?

Grau war der Bildschirm mit Streifen, Kratern.
Im Rollstuhl, ein Mann, saß dicht davor.
Es roch nach Speck, nach fettem Kohl und Bier,
Still war’s im Gastraum, ein leises Piepen
hörte man nur, ein Rauschen wie Papier.

Du hast mich doch zuerst gesehen.
ich glaub ja eher, dass du es warst.
Die Frage aber war: Wer macht den ersten Schritt?
Die Kiste flimmerte, ich ging zur Theke,
Du hast gesagt: “Bringst mir was mit?”

So war es, ich weiß es genau, als Armstrong,
Neil, sein Fuss, den Mond betrat,
in dem Moment – da hatte ich die Frau!

Na ja mein Lieber, gib mal nicht so an.
Es war eher so: Ich krallte mir den Mann.

War nicht der Fernseher dann noch ausgefallen?

Wie lange hat dein Onkel eigentlich noch gelebt?

Er starb dann bald, Jahr einundsiebzig.
weiter war der Splitter wohl gewandert,
irgendwann vielleicht zu dicht am Herzen.
Ich kann es deshalb hier auch reimen,
Sein Tod kam schnell, ganz ohne Schmerzen.

Wenn er nicht gewesen wäre, das Haus, die Ferien…

Neunundsechzig im Sommer, das erste Mal,
das weiß ich noch, als wir uns fassten
bei den Händen, saßen wir in seiner Küche
Regen gab es zwar, der Mond aber war klar
wie nie, im Radio, du weißt: Die Funksprüche!

Unsere Hände machten sich auf ihre lange Reise.
Losgestartet waren sie mit lauter Vorsätzen
und waren lang und länger unterwegs, schwerelos
und schwer zugleich, rückstoßgetrieben, heiß
erschütternd, fern und nah den Landeplätzen.

Wir waren abgehoben.

Wir flogen.

Wir näherten uns an.

Wir öffneten die Klappen.

Wir stiegen aus.

Wir nahmen Proben.

Und brachten sie zu mir und dir nach Haus.

Der Sommer neunundsechzig, Liebste,
unser Sommer voller Mond, zu Hause
waren wir und unterwegs auch gerne,
zu mir, zu dir, so viel, so groß – so schön
so nahe waren wir dieser Laterne.

Es kamen ja noch viele schöne Sommer.
Und andre Sommer werden kommen.

Im Hochsitz werden wir uns treffen,
abends in der Hütte, oben, auf dem Baum,
und haben uns auch schon getroffen, leise
In dem Fenster da den Mond zu schauen.

Wir haben ihn gesehen, wir beide,
aus der Nähe. Du und Ich, damals
in dieser Kneipe, und später öfter noch
in allen möglichen Versionen.

Doch niemals wieder werden wir ihn schaun,
so wie er war, vor den Apollo-Missionen.

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