TEUTONIKA – Leben in Deutschland

Es fotografiert einer, der ansonsten schreibt. – Ein Gespräch mit Hans Löffler

Frage: Ich möchte ihnen zum Anfang die naheliegende Frage stellen, wie sie zum Fotografieren gekommen sind? Und warum dies doch erst relativ spät in ihrem Leben geschah?

Antwort: So weit ich das selbst beurteilen kann, bin ich zufällig zum Fotografieren gekommen.
  Eigentlich dadurch, dass ich erst bei einem Menschen, später dann auch bei anderen Folgendes bemerkte: Wenn sie sich später ihre Fotos ansahen, waren sie fast immer sehr bewegt.
  Ich glaube, dass sie sich “neu“, dass sie sich fremd und auch näher und vertrauter, als jemals zuvor erlebten. Wohl tiefer und unbedrohter begegneten, als sie es sonst kannten. Oft war mir, in solchen Momenten des Dabei-Seins, als würden sich die Betroffenen selbst erstmals richtig gewahr; irgendwo zwischen Hoffnung und Gefahr.

Frage: Diese Antwort erklärt aber noch nicht den Umstand, warum sie erst spät mit dem Fotografieren begonnen haben.

Antwort: Ja, das ist richtig. Im Allgemeinen muß das mit meiner Entwicklung zusammenhängen. Und aber auch mit meinem nicht mehr jugendlichen Alter.
  Wer vom Schreiben einerseits und einer klarer werdenden Lebensbewußtheit andererseits älter wird, der gerät anscheinend unausweichlich in eine gefährliche Vereinzelung. Erst aus ihr heraus wurde mir wohl meine Sehnsucht nach Menschen faßbar.
  Sich war die immer schon vorhanden gewesen; aber überraschend bewusst wurde sie mir erst durch jene Entwicklung mit der Arbeit am Foto.

Frage: Sie meinen also, dass ihre literarische Arbeit sie isoliert hat?

Antwort: Ja sicher.
  Sehen sie auf das Schicksal von Autoren. Sie gehen gegen etwas an, in das sie sich – gerade durch ihre Arbeit und die damit gewonnene innere Sammlung und zunehmende Feinfühligkeit -, immer mehr verstricken, bis sie früher oder später, nahezu stets gefesselt sind: Bis die Kraft zur Vollendung der Arbeit fehlt. Bis sich das Subjekt durch das stärkere, alltägliche Leben aufhebt und es letztlich nur noch zur Produktion von verlogener Selbstzerstörung reicht.
  Und die ist ja auch oft eine wirklich existentielle. Bis in die Drogen, den Freitod; oder auch den Wahn.

Frage: Sie wehren sich also mit dem Fotografieren gegen diese von ihnen beschriebene Isolation?

Antwort: Heute fühle ich das ganz genau.
  Aber natürlich ist das Fotografieren nicht die wesentliche Läuterung.
  Und auf das entstandene Foto bezogen ist es eigentlich ohnehin egal, warum und wie es entstand: Wenn jeder Betrachter, Leser oder Hörer wüßte, warum und durch welchen Menschen jenes wurde, dass er gerade erfüllt aufnimmt, wäre er sicherlich meist zutiefst, aber eben doch völlig unnötig irritiert und letztlich auch tief enttäuscht.
  Das Klima, in dem ein Künstler arbeitet, ist seine Welt. Wie er in dieser Welt lebt, ist aber eine grundlegende Bedingung und auch ein Merkmal seiner Kunst. Dies sollte er wissen.
  Soziales Leben und Isolation werden ihn stets begleiten. Wie auch immer zueinander geordnet. Aber nur ein einzelnes von beiden…?

Frage: Ich möchte noch mal auf ihr Alter zurückkommen. Meinen sie, dass sie die Fotos in früheren Jahren nicht hätten machen können?

Antwort: Da bin ich mir relativ sicher. Damals war ich in diesem Alter, in dem man kaum an das Vergehen denkt. Es gabt zwar alte Leute, aber man gehörte selber ja zu den anderen. Wo alles offen erschien. Wo man die Möglichkeiten Lieben, Partner, Freunde zu finden und sogar auszutauschen für unerschöpflich hielt. Physis und Geist zusammen nahmen einem alle Grenzen.
  Heute sieht man allgemein genauer hin, ist vorsichtiger, entgegenkommender, setzt sich mehr in Beziehung. Man kennt die Kostbarkeit Zeit einerseits und die Seltenheit der Nähe mit dem Gegenüber zum anderen. Eigentlich müsste ich erst jetzt anfangen zu leben. Es ist, als würde man nun erst ahnen können, was Demut ist.
  Man weiß heute um das, was Grenze bedeutet, spürt das Reservoir der Möglichkeiten vor ihr, die objektiven Unmöglichkeiten hinter ihr, den beispiellosen Sinn von Ordnung.
  Ich nehme aber auch an, dass ich erst heute so Fotografieren kann, wie ich es tue, weil ich mich langsam besser kenne und andere Menschen deshalb nun besser erfassen kann.

Frage: Und inwiefern nutzt das der Arbeit?

Antwort: Ich glaube, dass ich dem anderen jetzt im besten Falle ermöglichen kann, so zu sein, wie er eigentlich ist und es im Leben sonst nur sehr schwer sein kann. Meine Offenheit für ihn bedingt anscheinend seine Offenheit für mich, und somit auch für meine Arbeit.
  Oft erreicht diese Ehrlichkeit eine Hingebung, die mich dann immer wieder verwundert. Und nicht nur der vielen Defizite wegen, die da anscheinend auch beim anderen existieren.

Frage: Hat das zeitliche Erleben der Möglichkeiten im gegenüber nicht auch etwas Bedrückendes, sogar auch Erschreckendes für sie?

Antwort: Während der Arbeit nehme ich das nicht wahr; da ist mir wirklich nur heiß: Ich bin, wo ich sonst nicht bin. Außer mir, im anderen und auch mit ihm in mir.
  Später, ja später, wenn ich manche Fotos sehe…

Frage: Erleben sie denn dann nicht manchmal auch das Gefühl der Liebe.

Antwort: Darauf möchte ich nicht antworten.

Frage: Gut, das respektiere ich. Aber während des Machens, begegnet ihnen ihre Arbeit da nicht wie etwas Rauschhaftes, sich Verselbstständigendes?

Antwort: Ja, wo sie es jetzt sagen. Vielleicht ist es oft wirklich etwas dem Rauschzustand ähnlich, auf beiden Seiten; wie Welt-Trance. Und das Ablichten ist dann der Augenblick, der die gefundene Nähe zueinander festhält.
Der Augenblick soll zur Ewigkeit werden. Das müsste es sein.

Frage: Vorhin erwähnten sie den Begriff der Nähe. Würden sie mir zustimmen, wenn ich meine, dass Nähe das Charakteristikum ihrer Arbeit ist?

Antwort: Als Ziel einer Sehnsucht ganz bestimmt. Aber leider nur den Augenblick.
  Wie ich schon versuchte deutlich zu machen: das Trugbild des Fotos, der Zauber lässt sich nicht einfach ins Leben übertragen.
  Aber zur Nähe im allgemeinen möchte ich noch etwas sagen: Ich glaube, einem Menschen nah sein, tatsächlich bei ihm sein, macht eigentlich wohl schon das Leben aus. Und insofern gewinne ich durch die Arbeit auch eine innere Klarheit über scheinbar äußere Dinge, Wertigkeiten.

Frage: Wie wählen sie sich die Menschen aus, die sie Fotografieren?

Antwort: Ich weiß nicht, ob es eine gibt? Fast immer sind es Menschen, die ich schon kenne. Bekannte von ihnen, beziehungsweise deren Kinder. Immer wieder sind es auch Kinder.
  Aber eine eindeutige Auswahl gibt es: die der einzelnen Fotos. Denn es entstehen doch viel mehr.

Frage: Der Weg, die Arbeit, einerseits und das Resultat, das Foto, andererseits, bringen ihnen Erfüllung, kann man das so sagen?

Antwort: Das könnte man sagen.
  Erfüllung durch Erfüllung durch die erreichte Einfachheit des Fotos. Das Menschlich-Einfache, das ist mir das Magische. Die Arbeit ist aber nur die Suche. Und das Resultat: eben ein Foto.

Frage: Sie wirken etwas traurig.

Antwort: Nun ja; der Wert des Augenblicks ist nicht einfach in das Leben übertragbar. Man erlebt die Identität des Menschen in aller Schlichtheit. Ein Geschenk der Zeit. Aber nicht einmal so lebensfähig wie ein buntes Blatt im Herbst.
  Natürlich wäre dauernde Nähe das Ziel. Künstler zu sein kann niemals das Leben ausmachen. Wir waren dort vorhin schon einmal angekommen.

Frage: Was meinten sie mit andauernder Nähe? Wahrscheinlich die Vertrautheit im Leben, den Umgang überhaupt. Nicht nur die schon seltene Nähe zwischen nur zwei Menschen, sondern jene zwischen vielen Individuen einer Gesellschaft?

Antwort: Unbedingt.
  Wer sehnt sich nicht danach, dies nicht nur als begrenzten Rausch erleben zu können.

Frage: Aber wie?

Antwort: Wer weiß es?
  Aber zukünftige Herausforderungen werden sehr, sehr fremde sein. Sie sind heute wohl kaum erörterbar.
  Doch um zum Anfang unseres Gesprächs, zum Foto zurückzukommen. Man könnte auch sagen: In manchen Augenblicken zeigt mancher Mensch wohl alle Möglichkeiten.
  Es fällt schwer zu fühlen, dass Demokratie nur heißt, dass Menschen zwischen warmem Wasser und kaltem Wasser wählen können. Bis eines Tages alles verflogen ist. Ohne Intensität – und ohne ein jedes Erkennen.

Das Gespräch führte Helena Urbanová.

Fotografie & Bildende Kunst von Hans Löffler

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