TEUTONIKA – Leben in Deutschland

ES ERSCHEINT EIN FENSTER, UND HINTER IHM EINE ERLEUCHTETE WOHNUNG.

ES ERSCHEINT EIN FENSTER, UND HINTER IHM EINE ERLEUCHTETE WOHNUNG, in der, an einem ovalen Tisch, direkt unter der Deckenlampe, vor einem Stuhl und weit in sich gekehrt, eine Frau steht und telefoniert, wahrscheinlich einem anderen Menschen zuhört, nur zuhört. Sie trägt einen Rock, aber ihr Oberkörper ist ganz und gar nackt.

Warum machst Du denn jetzt aus?“
  Maria drückt sich ihr Weinglas etwas gegen den Hals. Sie spürt, wie das Blut in ihr klopft. „Mach doch wieder an.“
  Charlie trinkt, gießt dann Wein nach, hält die Fernbedienung weit von sich.
  „Nein überleg Dir das doch mal: Wir sehen uns jetzt nach fünfzehn Jahren wieder. Ich komme aus Neuseeland“, träge lässt sie sich rücklings gegen die Lehne fallen. „Nun gut, eigentlich wegen der Beerdigung von Johnny. Aber jetzt bin ich doch hier. – Und Du, Du zeigst mir Videos… Filme, die Du gemacht hast. Und dann, dann fängt mich das endlich zu interessieren an, und Du… Du schaltest einfach aus.“
  Er überlegt. Er ist ernst. Er hat sein Glas abgestellt. Seine Arme hängen fremd an ihm herab. Die Daumen hat er angewinkelt, mit den Fingern fest umklammert, als wolle er sich in seinen eigenen Händen verkriechen, für immer verbergen. „Und Du… Du, Du kommst wirklich aus Neuseeland?“
  „Warum sprichst Du so leise? Ja, natürlich, aus Wellington.“
  Charlie beißt sich auf die Unterlippe, blickt auf den Boden, kurz an die Decke, wieder auf den Bildschirm.
  „Vielleicht bin ich ja aus Bestimmung hier.“
  „Aus Bestimmung“, Charlie blickt Marie an. Ihm ist, als wäre sie plötzlich eine andere Frau. Ja, er hätte sich glücklicher gefühlt, mit einer Fremden. Er versucht zu lächeln. Aber Marias Augen, die haben sich, haben sich irgendwie verändert, denkt er. Er greift nach seinem Glas. Er führt es vor ihren Mund, legt es an ihre Lippen. Sie beginnt zu trinken, hat ihren Kopf nach hinten fallen lassen, aber so weit nur, dass sie noch in kleinen Schlucken trinken kann. Ihre Augen sind geschlossen. Zwei, drei Tropfen Wein laufen an ihrem Kinn hinunter, auf den Hals. Charlie zieht das Glas zurück und wartet. – Er streift ihr mit dem Zeigefinger die nassen roten Spuren vom Kinn, den bleichen Hals wagt er sich nicht zu berühren.
  Sie regt sich nicht.
  Als er Maria zu küssen beginnt, ertastet sie aber sofort die Fernbedienung, und schaltet das Videogerät wieder an.

Die halbnackte Frau in dem hellerleuchteten Raum telefoniert noch. Sie steht vor einem großen Spiegel an der Wand, wendet sich vor ihm hin und her, redet dabei manchmal, bis sie verstummt und nicht wieder zu sprechen beginnt. Selbst ihr Körper verfällt in ein tiefes Schweigen. Direkt vor dem Spiegel steht sie; und schaut sich an.

„Was denkst Du, wenn Du das siehst?“
  Charlie hat die Aufnahmen zurückgespult und spielt sie nochmals ab. Abermals dreht die Fremde sich vor dem Spiegel hin und her.
  „Ich weiß nicht“, Maria blickt Charlie an, wieder auf den Bildschirm. Die Frau setzt sich gerade an ihren Tisch und stiert zur Decke hinauf, beginnt sich, nach einer kleinen Pause, mit langen steifen Fingern, sacht die Stirn zu massieren.
  „Ich lebe in den ganzen Aufnahmen, in jedem Detail. – Aber ich kriege sie nicht zusammen. Noch nicht. Ich meine, zu einem Ganzen, einer Einheit. – Ich habe da so einen Produzenten und der will einen Plot. Der will Aktion… will Erotik.“
  Die Fremde erhebt sich und wendet sich zum Fenster; geht schließlich aus dem Raum; ihr Rücken wirkt geradezu milchig.
  „Was glaubst du denn, was ich am Flughafen gemacht habe, als Du mich angerufen hattest. Seit etlichen Tagen sitze ich da herum und warte, dass irgend so ein verdammtes Flugzeug verunglückt. – Ich brauche Aktion! Richtige Aktion brauche ich; wahre… Und um diese Aufnahmen will ich dann eine Geschichte spinnen. Mit meinen Bildern.“
  Maria bewegt ihren Kopf näher zum Bildschirm, blickt in das fremde erleuchtete Zimmer: „Und sie, sie ist die einzige Überlebende des Absturzes, hat wie durch ein Wunder überlebt. Und nun wird sie gehetzt, weil der Anschlag, denn der Absturz war natürlich ein perfekt gemachtes Attentat“, als sie sich wieder zu Charlie wendet leuchten Marias Augen,„…weil der Absturz ihr gegolten hatte. – Sie hat brisantes Mafiawissen und will es verraten. – So ist es.“
  Charlie überlegt. In der Zeit gehen die Aufnahmen von der Wohnung zu Ende und es setzen erneut dunkle Bilder der Straße ein.

Er wartet lange. Völlig reglos beobachtet er den Gehweg. Die Katze gerät unterdessen auch ins Bild, läuft aber nur den Gehweg entlang. Und dann bricht es aus Charlie heraus: „Ejjjj! Deine Idee ist nicht schlecht. Maria, Du überrascht mich! Die Frau wohnt übrigens hier hinten im Nachbarhaus“. Charlie macht eine längere Pause in der er ständig nur auf seinen Gast blickt, um Atem zu kämpfen scheint. „Hast Du eigentlich gemerkt, dass Du ihr ein wenig ähnlich siehst? Mehr der Körper zwar, und wohl kaum das Wesen, aber doch irgendwie ähnlich… dieser Frau“
  „Das bildest Du Dir ein.“
  Maria ist vor einen Wandspiegel getreten, dreht sich, fährt sich mit den Fingern durch die langen blonden Haare, als würde sie sich genüsslich kämmen.
  Charlie sieht ihr zu. Er sieht auf ihr Gesicht. Irgendetwas ist dort plötzlich anders, wie äußerst raffiniert, aber verwegen umschlossen; als würde er es nie und nimmer erfahren dürfen.

(Auszug aus „“Augen auf Penelope”)

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