TEUTONIKA – Leben in Deutschland

Die Schwäne

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Ich bin zufrieden mit meinem Los.
   Zwar bin ich an einen Baum gefesselt: doch reicht man mir mit großer Zuvorkommenheit dreimal am Tage Mahlzeiten, die ich, da ich so gefesselt bin, daß meine Unterarme frei sind, selbst zu mir nehmen kann.
   Meist bringt mir das Essen eine stets schweigende, mich nie ansehende Frau, die jünger ist als ich. Ihr Gang ähnelt dem eines geprügelten Hundes. Diese Beobachtung machte ich vor etwa fünf Wochen und sah gestern erstaunt, daß sie frühmorgens mit einem kräftigen großen Hund zu mir kam. Diesmal blieb sie, nachdem sie mir das Essen gereicht hatte, mit dem Rücken zu mir in meiner Nähe sitzen, und wir schauten beide den Berg hinab, an dessen Südseite ich an jene Eiche gebunden bin, in die Tiefe, wo sich ein breiter Strom durch die Täler windet. Der Hund streunte inzwischen durch die Umgebung, kehrte aber des öfteren zu unserem Platz zurück, als wolle er uns seine Artigkeit zeigen.
   Wenn die Frau nicht kommt, kommen Männer, die mir Angst einflößen: Also freue ich mich immer, wenn sie erscheint, und bin eigentlich zufrieden mit den Umständen und mit dem Ausblick sowieso: Schwäne erkenne ich leider nur als weiße Punkte. Das heißt, ich denke, daß es Schwäne sind.

Gelesen von Sandra Hüller linkhausklein.png

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