Wenn Ullrich auch im besten Mannesalter war, so ging es ihm noch lange nicht so gut, wie er sich dies vorstellen konnte. Und da er schon alles Erdenkliche getan hatte, um sein Leben zu verbessern, und nichts den ersehnten Wandel gebracht hatte, dachte er es womöglich mit einem Marsch in eine andere Welt erreichen zu können.
Eines Tages nun, er hatte keinem Bescheid gegeben, fuhr er in eine kleine Stadt, in der er niemanden kannte. Dort wollte er sich in einem kleinen Hotelzimmer für seinen Übertritt präparieren. Er aß kaum etwas, sprach selbst das wenig Nötige wie in Trance und fiel des weiteren, wenn überhaupt, durch eine nicht beschreibbare stille Freundlichkeit auf.
Als der Tag gekommen war, an dem er sich zum entscheidenden Schritt in der Lage fühlte, machte er den bislang weitesten Spaziergang von seinem Hotel weg und kam dabei in einen der Stadt nahe gelegenen, aber einsamen Wald.
Wie von einer fremden Kraft getragen, hatte er seinen Weg gut überstanden und nahm auch noch wahr, daß die Tiere des Waldes keine Furcht vor ihm hatten, aber er wunderte sich über nichts mehr.
Ein kleiner Vogel, der ihn erst einige Male umkreiste, gab Ullrich dann zu erkennen, er möge ihm folgen. Ausgelassen singend flog der Vogel vor Ullrich her, der inzwischen die Augen geschlossen hatte und dem Tier nach dem Gehör folgte. Niemals vorher in seinem Leben war Ullrich so sehr er selbst gewesen.
Minuten später hörte das Singen des Vogels auf, und Ullrich öffnete entspannt und erwartungsvoll die Augen. Sogleich erkannte er die Welt, in die einzudringen er sich so innig gewünscht hatte.
Einen kurzen Moment nur war er irritiert, als plötzlich eine Frau vor ihm stand, die ihm aber durch ihr feines Lächeln schnell sein neues, glückliches Befinden wiedergab.
“Wo bin ich?” fragte Ullrich die Frau, ohne zu wissen, was seine Frage eigentlich sollte.
“Du bist in meinem Reich”, sagte sie, “der Weg ist Dir geglückt, setze Dich.”
Und nachdem Ullrich sich niedergelassen hatte, machte die Frau noch einen Schritt auf ihn zu. Nun stand sie so nahe neben Ullrich, daß ihre Kleider und ihr lasziver Duft ihn leicht betasteten. “Du hast, wie es Dir zukommt, zwei Wünsche offen; aber überlege erst gut, bevor Du sie aussprichst, denn ich werde sie dir erfüllen.”
“Wundere Dich bitte nicht”, sagte Ullrich hastig, “aber ich kann sie Dir schon nennen… Siehst Du, ich bin gekommen, weil ich mich in meinem Leben nicht mehr zurechtfand: Entweder man liebte mich nicht, und ich konnte mich deshalb in meinem Wunsch, lieben zu wollen, nicht entfalten, obwohl ich liebte. Oder man liebte mich, und ich liebte nicht, und ich durfte mich also nicht entfalten. Deshalb ist mein erster Wunsch, daß ich Dich möchte, denn Dich liebe ich, das spüre ich. Und mein zweiter Wunsch wäre der, daß Du mich liebst, das wäre es schon.”
Als die Fee diese Wünsche vernommen hatte, verlor sie urplötzlich ihre zart-sinnliche Souveränität, sprach aber dennoch weiterhin freundlich zu Ullrich. “Es tut mir sehr leid, aber wenn ich geahnt hätte, daß Du mich in Deine Wünsche einbeziehst, so hätte ich Dir vorher gesagt, daß dies nicht möglich ist.” Und schon war sie wieder von alter, alles auslöschender Suggestivität und lächelte Ullrich ebenso sicher an wie vorher.
“Ich bin das Zentrum dieses Landes und kann Dir Frauen herbeiwünschen, wie Du sie nicht kennst. Aber ich selbst wäre höchstens in der Lage, Dich mit meiner Natürlichkeit zu verwöhnen, doch das Unfaßbare, was die Liebe ausmacht, könnte ich Dir nicht geben, da ich selbst unfaßbar bin. Liebe aber sollte man nur mit Liebe begegnen, Du sagtest es selber. Und geht dieses nicht, leidet mindestens der, der liebt. Und sogar ich würde leiden, weil ich Dich ständig sähe.”
Und Ullrich sagte gerade: “Aber unter Dir würde ich auch leiden wollen…”, fiel dann aber in eine tiefe Ohnmacht.
Als er wieder zu sich kam, war die Fee verschwunden, und der kleine Vogel erschien abermals und zeigte Ullrich an, daß er ihm nachgehen solle. Und er flog ausgelassen fröhlich vor ihm her, als wüßte er von jenem, was geschehen war nicht das Geringste.
Und sicher führte der Vogel Ullrich aus dem Wald heraus, von dessen Rand aus man ja schon die kleine Stadt, das heißt ihren gelben Kirchturm sehen konnte.
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