So ohne ein rechtes Bedürfnis saß Sebastian auf der Wiese vor dem großen Berg.
Ganz hinten, am Horizont des Berges, der nur hier so groß sein konnte, weil er der einzige war und auch noch durch einige Bäume, die auf seinem Gipfel standen, etwas in die Höhe gestreckt schien, löste sich, aus den besagten Bäumen kommend, ein Mensch mit Bewegungen, die ihn schon jetzt, sehr früh noch, als weiblichen auswiesen.
Sebastian wunderte sich natürlich, wo jetzt diese Frau herkam, warum sie dort entlangging, und fragte sich außerdem, wo sie nur hinwollte; wünschte sich aber gleich, in einem Augenblick, indem er ja noch nicht wissen konnte, wer sie war und wie sie war, daß sie in einer Entfernung bei ihm vorbeikommen möge, die ihm gestatten könne, sie scheinbar überrascht vorüberziehen zu lassen oder aber sie vielleicht auch anzusprechen und mit ihr auf seiner Wiese einige Zeit zu verbringen.
Die Frau war jetzt schon eine Weile vom Horizont des Berges fort: hatte nicht mehr das helle Licht des Himmels hinter sich und sah nun mit den weiten, grünen und blühenden Wiesen im Rücken viel menschlicher, aber doch immer noch, weil langsam und entspannt und alleine spazierend und mit dieser Gegend vertraut wirkend, erstaunlich genug aus.
Deutlich merkte Sebastian jetzt, daß sie auf ihn zukam.
Plötzlich hoffte er, immer noch, ohne sie erkennen zu können, auf eine Zukunft mit ihr.
Inzwischen war sie schon ganz nah bei ihm.
Sebastian dachte jetzt überhaupt nicht mehr daran, sie vorüberziehen zu lassen; nun wollte er sie kennenlernen.
Und ihr schien es wie ihm zu gehen.
Sie war ungefähr zwanzig oder auch dreißig Jahre alt, hatte unglaublich große und milde Augen und sehr kurze dunkelblonde Haare, die aber in keinem Gegensatz zu ihrem eindringlich weiblichen Wesen standen, sondern vielmehr ihre Ausstrahlung von… ja von Reinheit und Güte nur noch zu verstärken schienen.
Im gleichen Moment, als sie Sebastian, der wie sie noch kein Wort gesagt hatte, behutsam einige Blumen schenkte, erschien aus der gleichen Richtung wie sie kurz vorher, aber mit einem fürchterlichen Krach, welcher sich schnell mehr und mehr verdichtete, ein Hubschrauber.
Sebastian hatte hier noch nie einen gesehen.
Sie machte den Eindruck, als würde sie den Hubschrauber nicht wahrnehmen, setzte sich aber neben Sebastian und sagte, daß sie Agnes hieße. Und daß sie glücklich sei, ihn hier und jetzt getroffen zu haben und so froh sei, daß er sich über die Blumen gefreut habe. Sebastian konnte sie aber kaum noch verstehen, denn der Lärm war noch stärker geworden, und die duftende Wiese war in hektischer Bewegung, weil der Hubschrauber jetzt nicht weit von ihnen landete.
Bevor Sebastian hätte richtig nachdenken können, was dies zu bedeuten habe, bewegten sich zwei Personen, die aus der Maschine gesprungen waren, hastig auf ihn und seine neue Bekanntschaft, die ihn immer noch ansah, zu und warfen sich auf sie.
Jetzt erst, aber schon im harten Griff der beiden Weißgekleideten, begann sie entsetzlich zu schreien und sich mit großer Kraft zu wehren.
Sebastian wußte immer noch nicht, was geschah; und erst als einer der beiden Männer, die sie jetzt unter ihrer Kontrolle hatten, zu ihm sagte, er solle ihr doch den Mund zuhalten, und er es auch tat, sagte der andere dann, nachdem Ruhe war, daß sie aus einer Anstalt geflohen sei.
Sie wehrte sich nur noch ganz wenig und hatte sich wohl auch wieder etwas beruhigt.
Sebastian nahm nun, ohne daß man es ihm gesagt hatte, denn ihre Augen blickten ihn traurig flehend an, seine Hand von ihrem Mund.
Sie schrie wider erwarten nicht und sah ihn in einer seltsam dankbaren Art an; verzerrte nur einmal kurz, als sie von einem der beiden Männer eine Injektion in den Arm bekam, ihr bereits schon wieder schönes Gesicht und schlief dann bald ein.
Mit Sebastian hatte keiner der Männer mehr gesprochen.
Beide trugen Agnes zum Hubschrauber, luden sie ein, stiegen selber nach, schlossen die Tür, und der Lärm begann wieder, und das Gras bewegte sich wieder erregt.
Schnell wurde das Geräusch schwächer, und schon war der Hubschrauber hinter der kleinen Baumgruppe auf dem Berg verschwunden.
Sebastian sammelte nur noch traurig die verstreuten Blumen von Agnes und von sich ein, und ging dann, aber so, ohne dabei jemals über den Berg sehen zu können.
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