TEUTONIKA – Leben in Deutschland

Zur Aufklärung der Dialektik

Das immer wieder erstaunt Gelesene an dem Klassiker: “Dialektik der Aufklärung.” ist ja, dass dieses Werk sehr viele Symptome der Moderne, der Postmoderne sowie des meta-thermischen Zeitalters, das sich gerade ankündigt, bereits 1943/44 ziemlich genau erfasst. Vieles, was die Autoren Horkheimer und Adorno, damals emigriert in Kalifornien, dort geschrieben haben, scheint immer noch sehr genau auf unsere Gegenwart zu treffen.
Massengesellschaft. Entindividualisierung durch Individualitätszwang. Konsumistische Gleichschaltung. Entleerung der Gedanken zur Ware. Der Stumpfsinn der Kulturindustrie. Das Sich-Selbst-Zum-Ding-Werden des Menschen in der technischen Instrumentalisierung aller Lebenswelten u.s.w.
Insofern hat das Buch ein Recht auf seinen Klassikerstatus, als Diagnose, weil es wirklich zum ersten Mal eingehender hinschaut, wie innehaltend, grundsätzlich geradezu aufschaut von dem ganzen unglaublichen Getriebe und versucht zu kapieren: Was geht hier eigentlich vor? Was passiert hier eigentlich bei uns.

Und trotzdem beruht sein wesentliches analytisches Handwerkszeug auf einer Vorgehensweise, die einem Sehfehler unterliegt und zugleich erzeugt.

Weil diese “Dialektik der Aufklärung” nun schon oft genug gefleddert wurde, hier nur ein kurzer und knapper Beitrag, weil sie sich an einem bestimmten Punkt auf etwas bezieht, dass ich selbst bisher hier auch angetriggert hatte.

Die Kernthese der Dialektik der Aufklärung baut sich also folgendermaßen auf.

Zitat:

Die Geschichte der Zivilisation ist die Geschichte der Introversion des Opfers. Mit anderen Worten: Die Geschichte der Entsagung.
Jeder dem Opfer entsagende gibt mehr von seinem Leben, mehr als das Leben, dass er verteidigt…….

Hier schon empfinde ich, dass die beiden Autoren “Das Opfer” nicht wirklich so verstanden haben, wie es naturwissenschaftlich und nach den neueren Erkenntnissen des 20igsten Jahrhunderts beschrieben, verstanden hätte sein können.
Deshalb kann ich es hier als das benennen,
was “das Opfer” besser beschreibt :
Als operative Verhandlungsmasse des psychophysischen Gleichheitszeichen hinter der Blut-Hirnschranke. Zur bewusstseinsseitigen Sicherung von Zeitlosigkeit gegen den Zeitpfeil der Irreversibilität.

Außerdem ist mir wichtig, dass ich unterscheide zwischen “dem Opfer” – als das, was hingegeben wird, und “dem Opfern” als Akt, als Tätigkeit.
Ich stelle diesen Unterschied deshalb heraus, weil er mir klarmacht, dass man auch ohne vordergründige “Opfergabe” trotzdem immer opfert.
Denn bereits jede Handlung, jede Tätigkeit ist ein “Opfern” im Tausch von Statik gegen Dynamik. Physis gegen Sinn. Information gegen Formation.
Soll heißen: Leben ist Opfern. Bewusstsein haben – heißt: Opfern.

In dem die beiden Autoren nun aber die Worte “Opfer” und “Leben” einfach trennen und damit gegenüberstellen, zeigt sich bereits eine gewisse Einseitigkeit in der Formulierung oder gar im Denken, das ja hier eigentlich ein Dialektisches zu sein vorgibt.
Ein Nichtverstehen, das dann geradezu epidemisch später diesen Sehfehler sich zu einer tragischen Gesamterblindung der Analyse sich ausweiten lässt.

Aber gut, sie kannten damals offenbar das Fließgleichgewicht noch nicht, ebenso wenig wie die Blut-Hirnschranke und auch noch nicht das psychophysische Gleichheitszeichen, das diese Blut-Hirnschranke herstellt.
“Introversion” gibt hier zugleich einen unklarern, wenn auch ahnungsvollen Begriff. Vielleicht sogar den besseren. Aber man kann dann nicht hinschreiben: Mit anderen Worten: Die Geschichte der Entsagung.
Weil nämlich: Der Mensch kann das Opfer weder “introvertieren” noch kann er ihm “entsagen” (Er kann den Vorgang des Opferns abstrahieren oder permutieren, aber nicht “das Opfer.”)
Der Sehfehler hier am Anfang zeigt sich darin, dass hier ein “Leben” begrifflich diskret gefasst wird, als ein “Leben”, das sich etwa aussuchen könnte, ob es opfert oder nicht opfert, oder das Opfer “introvertiert.”
Tatsächlich aber verhält es sich so, dass “Leben” nur einen anderen Begriff für “Opfern” stellt, und umgekehrt gilt dies auch.
“Leben” und “Opfern” sind komplementär miteinander vermittelt. Das Opfern muss permanent stattfinden, im Wechsel von Abgabe und Einnahme, von Ausnahmezustand und Einnahmezustand. Ausatmen – Opfern. Einatmen – Fassung gewinnen. Gegenwart – Widerwart.

Bewusstsein ist psychophysisches Abwägen zwischen Gegenwart und Widerwart.
Opfern ist Balancehandlung.
Wo Leben ist, da ist Opfern. Wo geopfert wird, da ist Leben.

Dies gilt ebenso für menschliche Gesellschaftsformationen, die opfern in Einnahme – und Ausnahmezuständen und sich so “formulieren.” Auch moderne demokratische Gesellschaften opfern, ohne dass ihnen dies bewusst ist. Zum Beispiel der ganze Warenverkehr und Geldhandel stellt ein einziges Opferritual dar, um im Handel ein Fließgleichgewicht zu stabilisieren.

Da der Übergang vom nur stoffwechselnden atmenden Tier hin zu einer sinnproduzierenden archaischen Opfer-und Religionsgemeinschaft von Menschen ein fließender allmählicher gewesen sein dürfte, nehme ich an, dass die Ausbildung des Spiegelbewusstseins im Gemeinschaftserhalt zugleich die Transformation von rein physischen Stoffwechselvorgängen in den meta-physischen Stoffwechsel des kultischen “Opfers” mit sich gebracht hat.

So muss notwendig, und das wird von Anthropologen wie Claude Levi Strauß, oder Leroi Gourhan auch bestätigt, aber auch von Mircea Eliade, die archaische Kult-und Opferhandlung als das Balance-Handeln eines Menschen begriffen werden, der sich die unbegreiflichen Naturgewalten als Wesenheiten, und Götter vorstellt, oder aber auch als seine eigenen Ahnen, mit denen er kultisch oder opfernd im Austausch steht.
So sind in archaischen Kulturen die Ahnen jederzeit anwesend und schließen so einen imaginären Kreis der solche archaischen Gemeinschaften als zeitlose in einem ewigen Kreislauf von Werden und Vergehen einfasst. Der Kreis der Zeitlosigkeit im Fließgleichgewicht zur Kommunikation mit den Ahnen, stiftet zugleich die Gemeinschaft. Und daran hat sich bis heute nichts geändert.

Weil jetzt das Fließgleichgewicht hinter der Bluthirnschranke verstanden ist, kann ich sicher davon ausgehen, dass sich an der grundsätzlichen Operation von Fließgleichgewichtsroutinen beim Menschen bis in heutige Tage nichts geändert hat.

Die einzig relevante Frage, die man also stellen kann, lautet: Auf welcher Ebene wird das Opfern, diese Balance- Handlung, die eben nichts anderes als eine psychophysische Fließ-gleichgewichtsroutine ist – auf welcher Ebene wird das vollzogen, ausagiert.
Hier scheint es offenbar Abstraktions-Schwellen zu geben, die, nachdem sie einmal überschritten sind, als notwendig entwicklungsdynamisierend wirken, und hinter die es dann kein zurück mehr gibt, nachdem sie einmal überschritten wurden.

So etabliert sich auch das höhere Bewusstsein des Menschen in der permanenten Oszillation zwischen Gegenwart-und Widerwart. Opfert Ausdruck gegen Eindruck. Reaktion gegen Aktion.
Immer auch opfert es dabei Wärme, Wärmestrahlung, die in die Dissipation geht. Physis.
Die gesamte physisologisch/biologische Evolution hat sich von Sekunde zu Sekunde als Gegenwart zur Widerwart balance-handelnd eingeschmiegt. Im Tidenhub von Information nach Formation und wieder zurück, sich dabei ständig auch verändernd.

Weil das hier am Anfang der “Dialektik der Aufklärung” schon nicht reflektiert wird, muss das ganze Projekt später, dass eigentlich oberflächendiagnostisch recht stimmig begonnen hat, zunehmend auf die unwissenschaftliche Bahn geraten, auf der es von einer Diagnostik auf eine Art Gnostik/Gnosis herunterkommt.
Etwas deutlicher: Diese “Dialektik der Aufklärung” denkt schon nicht mehr auf der Höhe ihrer Zeit. Schon das so wichtige naturwissenschaftliche Prinzip der Komplementarität hat sie nicht wirklich auf dem Schirm. (Die Komplementarität der Quantenphysik ist nur ein physikalischer Ausdruck der Dialektik)
Bemerkenswert, in diesem Zusammenhang ist der Satz:
Jeder dem Opfer Entsagende gibt mehr von seinem Leben, mehr als das Leben, dass er verteidigt.
Schon wieder die Trennung von “Leben” und “Opfern” Als sei “Leben” statisch definiert. Als sei Leben etwas, dass man nicht ebenso gewinnt wie verliert.
Als sei Leben nicht etwas, dass permanent kritisch balanciert zwischen Formation, Information und Exformation.
(Auch die durch Opferphysiken der Arbeitskraft entstandenen Bauten der Pyramiden gehören zum “Leben.”)

Die Autoren fahren dann fort mit jenem berühmten Gleichnis, das ihre These von der Entsagung des Opfers erhärten soll und fahnden bei Homer.
Unsere bekannteste Mythologische Erzählung, die das Verhältnis Mensch – Natur(Götter) thematisiert.
Odysseus Reise, als Irrfahrt, erdichtet von Homer. Dieser Odysseus, so die beiden Autoren, würde sich bei Homer bereits mit “Listen” über allerlei dämonische oder göttliche Unbillen und Gefahren hinwegsetzen und damit bereits eine Art Vorgeschmack auf einen Menschen geben, der sich “listenreich” , also “technisch”, also “instrumentell” sein Subjektives behauptend, den archaischen mythologischen Opferzumutungen der Naturwesen widersetzt und sich damit bereits der vormals von Geistern und Göttern beseelten Natur selbstermächtigend entgegenstellt.
Adorno und Horckheimer nehmen Odysseus so als ein frühes Paradigma für einen “Menschen”, der sich vom allzu ernsten Opferritual im Götterdienst zu distanzieren beginnt. Sozusagen als der erste Obermaker seines eigenen Schicksals.
Hier an dieser Stelle sehen die Autoren dann bereits eine negative Deformierung dieses vormodernen listenreichen oder technischen Menschentypus.
Dem listenreichen Odysseus werden arg depravierende charakterliche Folgeschäden dieses emanzipatorischen Verhaltens von den Autoren attestiert.
Und dies, man kann es so sagen, auffällig tendenziös.

Zitat: “Der Seefahrer Odysseus übervorteilt die Naturgottheiten, wie einmal der zivilisierte Reisende die Wilden, denen er bunte Glasperlen für Elfenbein bietet.”
Schon dieser Vergleich zeigt deutliche Tendenz zur Fehlbelichtung. Dass die “Wilden” Elfenbein für Glasperlen geben, hat zunächst mal nichts mit Übervorteilen zu tun. Warum sollen Glasperlen, die sie noch nie gesehen und besessen haben und sehr attraktiv finden, für “Wilde” weniger wert sein, als das Elfenbein, das sie lange schon kennen und dafür eben hingeben? Dass der zivilisierte Reisende hier ein scheinbar gutes Geschäft macht, spielt doch für die “Wilden” gar keine Rolle.

Schon nach diesem Vergleich lohnt es sich eigentlich kaum noch, die Odysseus-Metapher der beiden Autoren tiefer zu untersuchen.
Sie bleibt einer bestimmten Tendenz verhaftet. Geradezu undialektisch.
Tatsächlich zeigt sich im Beschreibungshaushalt des Homer die “Odyssee” als ein ziemlich komplexes Durcheinander im Hin-und Her-Balancieren verschiedener Fließgleich- gewichtsroutinen. (Solange ich dichten oder lesen oder singen kann, oder Abenteuer auf See bestehe, stehe ich ausserhalb der Zeit, ausserhalb der Irreversibilität.)
Dieser Odysseus des Homer ist weniger ein vor-modernes Cleverle, als vielmehr ein “Geschickter” – im wahrsten Sinne des Wortes. Geschickt in dem Sinne, dass er von Homer als mythische Figur auf eine Reise “geschickt” wird, die “er ” sich nicht ausgesucht hat.
Auf dieser Reise wird er in Gefahren verwickelt und muss Abenteuer bestehen, und besteht sie auch, zunächst einmal deshalb, damit der Beschreibungshaushalt des Homer als dichterische Fließgleichgewichtsroutine zwischen Spannung – Entspannung, Gefahr – Rettung, zwischen Statik – Dynamik, Gefangenschaft – Befreiung – hier also diesen Odysseus paradigmatisch als einen “Körper” – weniger beschreibt, als benutzt, als ein Partikel innerhalb eines Fließgleichgewichts, der zunächst einmal nichts anderes repräsentiert als eine frühe dichterische Projektion im Hin – und Herschwappen des psychophysischen Tidenhubs.
Wie das in Mythologien eben so üblich ist. Das Herumirren und Hinundherfahren dieses Odysseus entspricht dem Verhalten eines Partikels unter Einwirkung von In-Formationen und Kräften.

Selbstverständlich steht die Odyssee damit Pate allen mehr oder weniger darauf folgenden trivialen oder nichttrivialen Erzählkonstruktionen, die vielleicht als Hypothalamus-Massage dazu dienen, den Leser oder Hörer zu unterhalten, gut zu unterhalten – ihn zu bestätigen. (Oder religiös mythologisch ihn seiner Zeitlosigkeit zu versichern)

Aber wenn Horkheimer und Adorno hier nun “den Odysseus” heranziehen als Metapher für einen Menschen, der sich langsam aber sicher den Naturgegebenheiten listenreich widersetzt, dann unterscheiden sie nicht zwischen der “Funktion Odysseus” im Beschreibungshaushalt einer Dichtung und der “Figur Odysseus”.
Die “Funktion Odysseus” sehen sie gar nicht. Sie machen den selben groben Fehler, wie alle Literaturexegeten, die davon ausgehen, dass Dichtung “für etwas stehe” , irgendeinen Surplus an Erkenntnis liefern kann oder gar liefert. Das kann sie aber gar nicht. Dichtung reproduziert immer nur die gleichen, ewigen Fließgleichgewichtsroutinen bis hinein in das Auf und Ab der lautlichen Schwingungen in den Jamben und Versfüßen der Hexameter.

Die Raffinesse von Homer zeigt sich darin, dass er in der Odyssee seinen “Helden” nun derartig in ganz verschiedene Blut-Hirnschranken-Abenteuer verwickelt, um was zu erhalten? Die Antwort lautet: Um Dynamik, Bewegung zu erhalten – und zwar zunächst einmal die Bewegung der Dichtung als Vollstreckerin des Tidenhubs, der notwendig ist, damit überhaupt irgendetwas passiert. In einer kritisch stabilisierten Form von “Gesängen”.
Odysseus ist zunächst mal die “List” eines Dichters, dem die Tinte nicht austrocknen darf.
Damit sich überhaupt irgendetwas “ereignet” Denn jedes “Ereignis” ereignet sich immer nur “gegen” das Nichtereignis. Homer selbst “opfert” Worte an das Schweigen. So wie alle Lithurgen und Priester und Schamanen vor ihm.
In diesem Sinne ist die Odyssee zunächst einmal lediglich eine weitere Form der Lithurgie, ein Gesang, ein Opfer an das Schweigen.

Was Adorno und Horckheimer überhaupt nicht sehen: Die Tatsache, dass Odysseus die Geister, Dämonen und Götter auf seiner Reise zum Teil listenreich überwindet, ändert ja überhaupt gar nichts an dem Fakt, dass diese Geister da sind, dass es diese Götter im Beschreibungshaushalt dieser mythologischen Dichtung gibt.
Es ändert also überhaupt gar nichts an der kommunikativen Gegenüberstellung Mensch – Gott.
Die ganze griechische Mytholgie strotzt nur so voller Intrigen, voller Listen, voller Verschwörungen, Diebstählen, Instrumentalisierungen, Morden, Lügen und Nichtlügen. Diese ereignen sich wiederum innerhalb einer Vielzahl, ja geradezu innerhalb eines beinahe unüberschaubaren Mehrkörper-Ensembles zwischen Halbmenschen und Menschen, Göttern und Halbgöttern, Dämonen, Kyklopen, Hätären, Sirenen, Bakchen, Stieren, Vierteltieren und Argonauten, zwischen Halbsterblichen, Nichtsterblichen und Sterblichen, zwischen informellen Zauberkräften und formativen Verwandschaftsverhältnissen, die zum Teil auch wieder inzestuös miteinander verquickt sind – kurzum: auch die griechische Mythologie liefert lediglich eine sehr unterhaltsame Erzählung auf dem Grat der Blut-Hirnschranke zwischen Mythos und Logos, wo sich Reversibilität und Irreversibilität komplementär gegenseitig erzeugen als auch gegeneinander abschirmen. Ein Ab-und Auftauchen ähnlich der gewellten Wasserschlange der Ngayo Dayak auf Süd-Borneo.

Die Tendenziösität der Horckheimer/Adorno-Betrachtung äußert sich in der Behauptung, die Listen des Odysseus stünden schon für die moderne Selbstermächtigung eines “Menschen”, der sich dieser Kommunikation im Opfer allmählich entzieht, da er zunehmend wittert, dass diese Kommunikationen möglicherweise eine Illusion sind, ein “Betrug”. Weshalb er sich also selbst ermächtigt und nun seinerseits damit beginnt, die Götter zu “betrügen”.
Deshalb also steht bei ihnen Odysseus paradigmatisch für einen “Menschen”, der sich der opfernden Kommunikation mit den Naturgöttern entzieht, indem er also “Listen” anwendet.

Die Autoren kommen nicht einmal auf die Idee, zu fragen: Wieso kann dieser Mensch die Götter betrügen?

Tatsächlich ist das Verhalten des Odysseus selbst bereits absolut verquickt mit dem Beschreibungshaushalt der gesamten griechischen Mythologie.
Die Listen, die er anwendet, werden ihm zum Teil auch eingeflüstert oder verraten von anderen Göttern oder Wesenheiten (zum Beispiel Kirke). Die damit natürlich auch seinen weiteren Weg bestimmen. Ihn also auch selbst instrumentalisieren und determinieren. Oder sie verzaubern ihn sogar, geben ihm die Gestalt eines Bettlers am Ende der Reise etc….. Tatsächlich sind seine Abenteuer, die man ja nachlesen kann, eine komplizierte Mischung aus “Geschick”, Eigenverantwortung, Zauberei, mittleren Katastrophen und Göttergewalt.
Aber schon der Beginn seiner Reise erfolgt auf einen Ratschluss der Götter.

Dass Odysseus die Natur-Wesen teilweise “überlisten” muss, setzt ja voraus, dass es diese Wesen zunächst einmal gibt.

Odysseus ist überhaupt gar kein selbstbewusstes Kontinuum, dass sich irgendwie auch nur im geringsten selbst “verhält.” Oder “verhalten” könnte.
Odysseus ist lediglich die dynamisierte Form oder das Designat im Tidenhub eines hin -und her-schwappenden Beschreibungs – und Bewegungshaushaltes
Ein Wassertropfen im mythologischen Mittelmeer.

Und so weiter und so fort.

Adorno und Horkheimer aber schreiben:

Durch Odysseus wird einzig der Moment des Betrugs am Opfer, der innerste Grund für den Scheincharakter des Mythos selbst, zum Bewusstsein erhoben. Uralt muss die Erfahrung sein, dass die symbolische Kommunikation mit der Gottheit durchs Opfer nicht real ist. Die im Opfer gelegene Stellvertretung, verherrlicht von neumodischen Irrationalisten, ist nicht zu trennen von der Vergottung des Geopferten, dem Trug der priesterlichen Rationalisierung des Mordes durch Apotheose des Erwählten.
Etwas von solchem Trug, die gerade die hinfällige Person zum Träger der göttlichen Substanz erhöht, ist seit je am Ich zu spüren, das sich selbst dem Opfer des Augenblicks an die Zukunft verdankt. Seine Substantialität ist Schein wie die Sterblichkeit des Hingeschlachteten. Nicht umsonst galt Odysseus vielen als Gottheit.
Solange Einzelne geopfert werden, solange das Opfer den Gegensatz von Kollektiv und Individuum einbegreift, solange ist objektiv der Betrug am Opfer mitgesetzt.
(…….)
Die List ist nichts anderes als die subjektive Entfaltung solcher Unwahrheit des Opfers, das sie ablöst. Vielleicht ist jene Unwahrheit nicht stets nur Unwahrheit gewesen. Auf einer Stufe der Vorzeit mögen die Opfer eine Art blutige Rationalität besessen haben, die freilich schon damals kaum von der Gier des Privilegs zu trennen war.

Hier hake ich gerne ein.

Tatsächlich enthält diese Beschreibung das ganze Dilemma und auch letztlich das Scheitern der Frankfurter Schule als anthropologisch relevantem Analyseversuch.

Das Wort “Betrug” verweist hier wieder auf den tendenziösen Glasperlenvergleich mit den “Wilden” von oben.
“Betrug am Opfer” ist eine Kategorie, die völlig ahistorisch hier Werte wie “Richtigkeit” oder “Falschheit”, “Wahrheit” oder “Unwahrheit.” “Schein” oder “Sein” von einer nachlutherischen Perspektive in eine Zeit projeziert, die solche Kategorien, in dieser Weise verwendet, überhaupt noch gar nicht kannte.
Horckheimer und Adorno projezieren, ohne sich dessen bewusst zu sein, nachlutherisch protestantische Kategorien in eine graue Vorzeit hinein, und sehen deshalb auch nicht, dass sie hier mit Odysseus einen “Menschen” gewaltsam erfinden, der Listen als Betrug am Opfer anwendet.
Aber erst nach Luther ist es möglich, derart über Odysseus oder die gesamte griechische Mythologie zu denken oder zu sprechen, was aber völlig ahistorisch bleibt und somit ganz falsch.
(Diesen Fehler hat auch Nietzsche schon gemacht, wenn auch mit umgekehrten Vorzeichen, in dem er selbst dionysisch zündeln zu müssen glaubte mit seinem von Luther beleidigtem Seelchen. Insofern stellt die “Dialektik der Aufklärung” ein Komplementär-Irrtum zu Nietzsche dar.)
Hier werden “Werte” oder “Werteverletzungen” “Privilegien” etc… als lutherisch protestantische Bewertungsinstrumente auf eine Zeit projeziert, in der solche lutherisch analytischen Werte-Konstrukte noch gar nicht existierten.
Wie oben nachgewiesen, ist Odysseus kein handelnder Mensch, ebenso wenig wie die Götter wirkliche Götter sind, sondern alle sind erzählerische Benutzeroberflächen, sind Wassertröpfchen, die aber komplett im Haushalt der ganzen narrativen Pracht mittelmeerischer Mythologie gelöst bleiben.
Dass Menschen immer schon mehr oder weniger gewitzt oder auch listig ihre selbstauferlegten Opferrituale und Sinnproduktionen in einen “listigen” Händel/Handel
verquickt, getauscht, modifiziert, überführt haben, dürfte keine brandneue Homestory oder Neuerfindung von Homer sein, obwohl die Odyssee zu den ältesten schriftlich erhaltenen Dokumenten der Mythologie gehört. Aber auch das bloße pragmatische Handeln der List steht als “Handeln” wie das Wort schon sagt, wiederum in einer Tauschroutine Statik gegen Dynamik. Die Reise muss ja irgendwie weiter gehen.

Dieser anfängliche Sehfehler, die “Geschichte der Introversion des Opfers.” mit einem blind obwirkenden lutherischem Werte-Instrumentarium beschreiben zu wollen,
indem sie dieses in die Mythologie hinein projeziert, und hier gewaltsam Unterscheidungen vornimmt zwischen “Betrug” und “Nichtbetrug”, verstrickt die “Dialektik der Aufklärung” selbst in eine Selbstreferenz ihres begrifflichen Instrumentariums, in einen hoffnungslos selbstreferenten Bewertungskreislauf, aus dem sie nur zu entkommen glaubt durch die pessimistische Ablehnung jeglicher Identität, also ins “negativdialektische” Nirvana der Nichtidentität. (Adorno)

Was soviel heißt wie: Eine Brandwunde mit einem glühenden Eisen heilen wollen.

Sie kann in Folge dessen gar nicht anders, als den gesamten Prozess der Aufklärung als Deprimierung des “Lebens” betrachten.
Weil sie nicht sieht, dass Leben lediglich eine kritisch stabilisierte Form im Übergang ist, das immer aufnimmt und abgibt, zugleich neue informelle Millieus formiert.

Und kann in Folge dessen auch gar nicht auf die Idee kommen, dass Odysseus Listen, wie jede Mythologie lediglich die immer schon obwirkenden Navigationsbalancen des menschlichen Bewusstseins abbilden, das sich komplementär balanciert im Fließgleichgewicht zwischen Illusion und Realisation, zwischen Physis und Metaphysis, zwischen Energie und In-Formation, zwischen Statik und Dynamik, zwischen Macht und Ohnmacht, Gefährdung und Entronnensein, Reversibilität und Ireversibilität.
Dieser Bewegung eine Beschreibung zu geben, darin zeigt sich die Aufgabe aber auch die Leistung jeder mythologischen Erzählung, in diesem Fall auch der Gesänge des Homer.

Weil aber jeder Mythos, sofern er aufgeschrieben wird, eben bereits auf der Seite des Logos sich etabliert, und nicht mehr primär nur handelnd also stumm opfernder Mythos sein kann, ist hier “der Mensch” sowieso immer schon erwacht.
Insofern hieße, Odysseus seine “Listen” vorwerfen, soviel wie: Homer sein Menschsein vorwerfen, was dann soviel heißt wie: Dem Menschen übel nehmen, dass er ein Gehirn mit einem Bewusstsein hat.

Der wirkliche Bruch aber hin zur problematischen Selbstermächtigung des modernen Menschen vollzieht sich erst mit Luther.

Erst Luther “introvertiert” das psychophysische Opferverhältnis. Weil er sogar in gewisser Weise die meisten “Gesänge” verbietet oder jedenfalls die narrative Pracht und psychophysischen Repräsentationsmodi der Mythologien, aber auch der physischen Bauten, Strukturen, Ausschmückungen.
Mit Luther jedoch “introvertiert” sich nicht nur “das Opfer”, noch der “Akt des Opferns”
Luther “introvertiert” den ganzen Gott selbst, und so bekommt die gesamte psychophysische Fließgleichgewichtsroutine eine harte Reflexionsschubumkehr in die technisch handelnde Praxis hinein. Zunächst äußerst katastrophisch im 30igjährigen Krieg.
Weil aus diesem Menschen, der seinen Gott jetzt verschluckt hat, ein gottähnlich handelnder Mensch herauswächst, der darin sich auch wieder selbst unheimlich und im wahrsten Sinne des Wortes zweifelhaft wird. Aber auch zum ersten Mal wirklich analytisch. (Hamlet)

Warum und wie das mit einem unverstandenen Transformationsprozess zwischen Energie und Information zu tun hat, zwischen Physik und Metaphysik – dessen Ausblicke nicht nur pessimistische Schlüsse zulassen – ist hier schon ermittelt worden und soll weiter ermittelt werden.

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