Bisher verfolgten wir den Weg unseres Helden in die aufreizend unkooperative Buchhandlung. Ja, wir verstehen seinen Groll, und wir halten ihm für das letzte Wortgefecht mit dem crazy Prenzlauer-Berg-Buchhändler alle Daumen.
Da stand er, das MTV unter den Sortimentsbuchvertrieblern, und er glaubte sich meinen Wünschen schon vor ihrer Äußerung gewachsen. Wir würden sehen. „Haben Sie?“ hub ich an „Oder haben Sie nicht…?“ Und ich pausierte.
Ja, die Kunst der fugenschaffenden Pause, Freundinnen und Freunde! Anders als ihre ungleich bekanntere Schwester, die Kunst der Fuge, dient sie eben nicht dazu, dem Befugten die Schönheit ihres musikalischen Fugenthemas nahezubringen. Die fugenschaffende Pause ist rhetorischen Wesens und schafft sich ihre Fugen (ach, darum wohl auch der Name!) selbst: Fugen, Risse und Löcher in der Geduld des Gegenübers.
Doch was nutzt alle feine Kunst an einem groben Klotz? Der Buchschmock ließ jeden Respekt vor den Fugenmeistern Bach und mir fehlen und spachtelte das Gesprächsloch bereits mit Eigengerede zu: „Was wir nicht haben, können wir bis morgen besorgen“. „Dann möchte ich bis morgen“, ließ ich mich sagen, „ den Ratgeber Der sicherste Weg zum Bücherhasser. Alle Exemplare, die Sie beschaffen können. Ich werde sie direkt vor Ihrer Tür mit der irreführenden Klingel kostenlos verteilen.“ Mein Gegenüber zuckte mit den nach Testosteron riechenden Achseln. Er wüsste nicht, ob es so ein Buch gebe. Von diesem Titel habe er noch nie gehört, und an sich könne er sich Titel gut merken. Mein Insolvenzverwalter auch! wollte ich fast hinzufügen, als mir einfiel, dass das A) Perlen vor die… wäre. Und im Fall, dass er es doch versteht, wäre damit b) meine Behauptung, ich könne mir leisten, alle Exemplare eines Ratgebers aufzukaufen und sie kostenlos zu verteilen, in ihrer Glaubwürdigkeit empfindlich untergraben. Ich schwieg also golden und sah ihm zu, wie er per Mouse und Taste in seiner Bestellsoftware herumrührte und mein Der sicherste Weg zum Bücherhasser an die Bildschirm-Oberfläche bringen wollte. Dann hielt er eine bewegende Rede, in der er mir sein tiefes Bedauern mitteilte, meinem Wunsch nicht gerecht werden zu können: „Nö.“ „Wie – Nö“? sah ich mich genötigt, zu fragen. Nun ging er ins Detail: „Ist nicht.“ Ich hatte mich in ihm getäuscht: Sein Überlegenheitsgefühl resultierte nicht aus dem Glauben, alle meine Wünsche erfüllen zu können, sondern aus der Tatsache, dass sie ihm wurscht waren. „Aber Sie würden es mir bestellen, wenn es das Buch gäbe? Und Sie hätten nichts dagegen, dass ich es vor Ihrer Tür auf der Straße verteile?“ „Freies Land“, antwortete er in einem dermaßen gelangweilten Tonfall, dass die Demokratie, hätte sie mitgehört, stante pede eingeschlafen wäre.
Es wurde Zeit, meine Stimme zu erheben: „Warum sind Ihnen Bücher eigentlich so dermaßen gleichgültig? Und warum glauben Sie an nichts, was sich diese Buchhandlung auf die Fahnen geschrieben hat?“ frug ich ihn wahrhaft laut, ohne auch nur im Mindesten wütend oder wie ein Schreihals zu wirken – denn, Freundinnen und Freunde, das ist eines meiner kleinen Talente. Literatengrobi hätte mich jetzt gerne von seiner physischen Dominanz überzeugt, doch Chefin Lyrikschranze hatte sowohl Oberlippenbärtchen als auch Aufmerksamkeit auf uns gerichtet. Noch war dies ein Kundengespräch, in dem Alphamännchen kundenfreundlich zu agieren hatte. „Warum unterstützen Sie mich in dem Plan, vor Ihrem Geschäft einen Ratgeber zum Bücherhassen zu verteilen? Wenn Sie wirklich daran glauben, dass Lesen sexy macht, dass Literatur im Falle Ihrer Chefin also Wunder bewirken kann, dann kann ein Buch auch bewirken, dass man Bücher hasst! Entweder halten Sie Ihre eigene Werbung also für eine Lüge! Oder es ist Ihnen egal, wenn die Menschen Bücher hassen! Was ist es denn nun?“ Meine Worte hallten durch die Handlung. Die Akustik war wirklich sehr gut, wenn man auf dem Tresen stand. „Eine Buchhandlung, in der man Bücherhasserbücher verkauft, ist wie ein Bäckerei, die für ihre Mehlwurmzucht wirbt! Ein solcher Buchhändler ist wie ein Pazifist mit Waffenschein! Ein Bestattungsunternehmer, der Vitamingetränke und Obst verteilt! Ein anorexischer Pizzabote!“ – Meine Argumente machten Eindruck. Ich sah die Blicke, mit der die Lyrikschranze ihren Buchknecht musterte, als er mich vom Tresen zur Tür trug. Einmal noch hörte ich das unangemessene Klingeln der „Bookbell 3000“, das mich zu diesem Auftritt überhaupt erst gezwungen hatte. Dann stand ich draußen.
Und ich war zufrieden: Ich hatte meine Satisfaktion erhalten. Für den Lesetroll war die Geschichte noch nicht zu Ende. Dass Chefin Lyrikschranze ihn gleich entlassen würde, wollte ich nicht und musste es auch nicht vermuten. Blut ist dicker als Wasser. Und die beiden waren mit Sicherheit verwandt. Dazu waren ihre Bärte einfach viel zu ähnlich.
Ende.