TEUTONIKA – Leben in Deutschland

Nostalgie-Bimbam oder Von der Angemessenheit der Waren / Teil I

Nostalgie-Bim, Nostalgie-Bam macht die Türglocke in so perfektem Digitalsound, dass es viel zu authentisch klingt, um echt zu sein. Es ist natürlich eine von diesen Standard-Bebimmelungsanlagen, die mittlerweile über nahezu jeder Buchhandlungseingangstür lauern. Bookbell Profi 3000 wird sie sicher heißen und ihrem Käufer drei Klänge zur Wahl bieten:

Zuerst das bereits gehörte Nostalgiegeläut, passend für jedes nach Ledereinband und Folianten riechendes, herrlich unaufgeräumtes Schmökerantiquariat (Ledereinband- und Foliantenparfum Booksmell Profi 3000 zusätzlich lieferbar). Hier liegen und stehen Bücher in Regalen, in Waschkörben, zu Bücherbergen getürmt. Der höchste Gipfel heißt Gutenberg. In seinen Schluchten finden sich noch Schätze, halber Preis. Lass Dir nur Zeit beim Suchen; der grauhaarige Leser an der Kasse fühlt sich durch Deine Anwesenheit gar nicht gestört. Nimm ihm im Gegenzug das liebevoll-resignierte Seufzen nicht übel, das ihm entfährt, wenn Du nach all der Zeit begeisterten Stöberns die beiden alten Reclam-Hefte für Null Euro achtzig erwirbst.

Zweitens das scharfe, wachmachende „Krrring Krrring“ für die politisch-aufklärerische Buchhandlung, Hort der korrekten Texte, moralischer Fels in der Brandung postmoderner Beliebigkeit. Ja, diese Metapher ist literarisch von fragwürdiger Qualität. Aber sie stimmt, und darum geht es. Hier steht die Wahrheit, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit im Regal. L’iteratur pour l’iteratur muss leider draußen bleiben. Sicher, Bestseller gibt es hier auch zu kaufen. Man/Frau kann es sich nicht leisten, auf die Einnahmequelle zu verzichten. Das Mainstream-Geschreibsel liegt abseits auf dem Schandtisch. So hat die Buchhändlerin genug Zeit, Dich mit leicht verächtlichem Lächeln zu beobachten, wenn Du ihn ansteuerst.

Drei ist die Maxisingle unter den Türglocken: Das synthetische „King Kong Ding Dong“ für alle literarischen Großmarktketten, gegen Aufpreis auch mit individualisiertem Text Booktell-Profi-3000 erhältlich. Kostet keine Kleinigkeit, ist aber zudem als origineller Radiospot zu verwenden. Und nur durch Dauerwerbe-Sendungsbewusstsein wird ein genügend großes Rudel an  käufigen Leseratten angelockt. Hier schafft kein einzelner Literatendealer; vielmehr schwärmt eine ganze Buchstaben-Sippe durch die Fluchten der verkaufsfördernd eingeteilten Buchmasse. Nach Bestlistenplatz, TV-Senderzugehörigkeit der Autoren und Zahl der Relativsätze sind sie geordnet und warten auf den schnellsten Schnäppchenleser.

Nostalgie-Bimbam macht also die Türglocke bei meinem Eintreten. Ich drehe mich um und mache auf der rostroten, trittschalldämmenden Auslegeware ein paar erste Schritte in das geräumige Innere. Schwarze, wohlgeordnete Regale. Links ein Stand mit zitatgefüllten Jahreskalendern und poetischem Geschenkpapier. Nix Schmökerantiquariat. Eine stinkend normale Buchhandlung bietet sich meinem Auge dar und spottet meiner Theorie über die am Klingelton erkennbare Dreifaltigkeit zeitgenössischen Buchhandels. Habe ich also völlig umsonst eine halbe Stunde unter der Türglocke sinniert.

Angemessen beleidigt von dieser kontraproduktiven Haltung suche ich mir einen Sündenbock unter dem anwesenden Verkaufspersonal. So nicht, Freunde. Nicht mit mir.

 

Lesen Sie im zweiten Teil: Hat der falsche Klingelton fatale Folgen ? Kommt es gar zu einem Gewaltexzess? Und wenn ja: Was sagt Henning Mankell zu Mord und Totschlag in einer Buchhandlung, auf die er kein Copyright hat?

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