TEUTONIKA – Leben in Deutschland

Aus Alt mach Neu

Die Zeit meines selbstauferlegten auditiven Fastens ist vorbei: Vier Wochen ausschließlichen Musikkonsums über die plastikummantelte Scheppermembran eines eierschneidergroßen Duschkabinenradios namens Splashmaster 3 liegen nun hinter mir. Heute beginnt das Fastenbrechen. Ich gönne mir die erste halbe Stunde vor den Boxen meiner mit mir gleichaltrigen Wohnzimmerstereoanlage.

Das satte Plopp des jäh wieder stromdurchfluteten Verstärkers verspricht nur Gutes. Auch wenn es zwischen uns ein langes Schweigen gab, steckt Leben in dem kräftigen, von Teakholzimitat vorteilhaft eingefassten Kompaktleib.

Dann die ersten Töne. Tränen rinnen mir die Wangen herunter. Ich hatte vergessen, dass Musik auch Höhen haben kann. Klänge, Freundinnen und Freunde, Klänge! Mehrere! Und voneinander unterscheidbar! Das schnarrende Quäken des Splashmaster 3 löst sich aus meinem Bewusstsein wie der Durst des verirrten Wüstenwanderers, der sich in die Klarheit des kühlenden Oasenwassers wirft. Und wie groß erst wird der Genuss, wenn ich die Frequenz des Radiosenders sauber einstelle!

Ich schäme mich. Wie konnte ich je an der Leistungsfähigkeit meines treuen Wohnraumvertoners zweifeln? Sollte die Tatsache, dass er und ich die gleichen Jahre geleistet haben, nicht für statt gegen ihn sprechen? Was ist 5, 6 oder auch 7.1 gegen 40 Jahre wir zwei? Welch billigem Verlangen war ich aufgesessen, dass es mich plötzlich von güldenen Eingängen zu virtuellen Heimkinos träumen ließ? Schluss mit diesem Spuk! Vor den in warmem Grünton leuchtenden Diodenaugen meines treuen Klangfreundes zerreiße ich die grellen Prospekte seiner modernen Nachfolger. Und ich höre die zarten Jauchzer und Jubilierer, die er gekonnt unter die Standardtöne des Radioeinerleis mischt.

Danke, Splashmaster 3! Du hast mir die Augen geöffnet, was meine Ohren wirklich brauchen.

Und dank auch Dir, Heißgetränkeautomat auf der S-Bahnstation Prenzlauer Berg. Du hast mich gelehrt, die verlässlichen Brühbemühungen meiner guten, alten manuellen Kaffeemaschine aufs Neue schätzen zu lernen. Als mich die Gier nach einer eigenen, chromblitzenden Alleartenvonkaffee-Machmaschine zu übermannen drohte, da nutzte ich Dein Gebräu, die Überflüssigkeit meines Wollens zu erkennen und von mir zu weisen. Morgen für Morgen nahm ich schlaftrunken den Weg von Bett- zu Bahnsteigkante und aus Deinem Inneren, Heißgetränkeautomat, das erste Koffein des Tages entgegen. Vier Wochen waren es Tag für Tag ausschließlich die Körperflüssigkeiten deines metallenen Kubus, die mich erquicken sollten. Und wie oft zweifelte ich, den Geschmack deines Erzeugnisses auf der Zunge, ob mein noch dösender Daumen heute aber wirklich mal die Kaffee-Taste verfehlt und stattdessen die benachbarte Ochsenschwanzsuppen-Taste gedrückt hatte. Was für ein Fest, als dann zum ersten Male wieder meine alte, fast schon dem Alteisen zugeführte Kaffeemaschine übersprudelnd auf dem Herde stand. Nix Ochsenschwanz. Kaffee, wie ich ihn mir in den vier Wochen immer wieder erträumt hatte! Besser hätte ihn auch sein futuristischer Vollautomaten-Enkel nicht bereiten können.

So entdecke ich neu, was ich an dem Alten habe. Doch, das will ich nicht leugnen, es ist ein schwieriger Weg. Und ich muß ihn im Verborgenen gehen. Allein wenn ich mir vorstelle, dass meine neue Lebensabschnittsgefährtin, bei der ich vier Wochen zu wohnen gedenke, diese Zeilen hier lese würde!

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