Eva-Maria Kaufmann
Fotografien von Frank Hülsbömer
Der Vorgarten erfreut sich im allgemeinen keines guten Rufs. So definiert die Internetenzyklopädie Wikipedia : „Der Vorgarten bezeichnet den zu einem Wohngebäude gehörenden Teil des Gartens, welcher zwischen Gebäude und der Hauptzufahrtsstraße zu selbigem liegt. … Zusätzlich ist der Vorgarten aber auch eine sozio-kulturelle Erscheinung. [Er] gilt bei einem Teil der Bevölkerung als Aushängeschild sowohl des Hausgartens als auch des gesamten Haushalts, wodurch ihm in der Folge eine erhöhte Aufmerksamkeit geschenkt wird. Häufig wird der Vorgarten durch Gartenschmuck wie Gartenzwerge verziert.“ Geradezu reflexhaft denkt man beim Stichwort „Vorgarten“ an Gartenzwerge, Baumarktkitsch und Spießigkeit. Aber gleichzeitig rangiert das freistehende Eigenheim an der Spitze der Wünsche der Bundesbürger, obwohl dieser Wunsch von der Kritik doch seit langem als aufgeschwatztes Bedürfnis diskreditiert wird und auch von stadtplanerischer Seite immer wieder Vorbehalte geäußert werden.1
Im Vorgarten, diesem Mikrokosmos an der Grenze von Öffentlichem und Privatem, spiegelt sich das jeweilige Verständnis von Kultur und Natur, beides gestaltet nach individuellen Vorstellungen und den mannigfachen Einflüssen, die man als kulturhistorischen Hintergrund bezeichnen kann. In seinen unterschiedlichen Gestaltungsformen war und ist der Garten das komprimierte jeweilige Wunschbild der Welt draußen, ein Ausdruck des allgemeinen Zeitgeistes ebenso wie regionaler Traditionen, z.B. in der Frage, ob man sein Grundstück mit einem Zaun umgibt.2
Mit dem englischen Landschaftsgarten wird auch der Vorgarten Gegenstand künstlerischer Reflexion. Ein Druck aus dem Jahr 1816 zeigt bereits alle entscheidenden Elemente seiner Gestaltung: eine Abgrenzung zur Straße in Form einer Hecke, die wegemäßige Erschließung und eine Rasenfläche als Folie für blühende Sträucher und Blumenbeete.3 Mit zunehmender Verbreitung wird der Vorgarten aber auch bald zum Gegenstand offizieller Reglementierung: eine Berliner Polizeiverordnung von 1875 verbietet unter anderem Hühnerhaltung, Hundehütten und gewerbliche Nutzung, z.B. zu „Schankzwecken“. Bis zum Ende des 1. Weltkriegs entstehen vor allem Miniatur-Landschaftsgärten, die immer häufiger mit Grotten, Wasserspielen, Kübelpflanzen, Skulpturen und Teppichbeeten repräsentativ überladen werden.4
Mit der beginnenden Moderne regt sich Kritik an diesen im Schematismus erstarrten Formen, und Architekten wie Hermann Muthesius oder Peter Behrens fordern und entwerfen geometrische Anlagen in Entsprechung der Formen des Hauses. Gleichzeitig kommt es auch zu einer Rückwendung auf die einfachen Vorgärten der Goethezeit, die für den Gartenarchitekten Harry Maaß „Plätze der heitersten Glückseligkeit und trauten Friedens“ waren. Auch die Vorgärten der Wohnsiedlungen der 30er Jahre werden betont schlicht gestaltet und schließlich soll in der NS-Zeit auch der Vorgarten gleichgeschaltet, entrümpelt und ausschließlich mit einheimischen Arten bepflanzt werden.
Nachdem während des 2. Weltkriegs und in der unmittelbaren Nachkriegszeit alle gartenkünstlerischen Fragen zugunsten des ursprünglichen Zwecks des Gartens, des Nahrungserwerbs, zurücktreten mußten, dominiert seit den 50ern der sogenannte landschaftliche Stil mit Raumeinheiten, in denen ein freies, naturgemäßes Wachstum stattfinden soll. Alle Elemente sollen integrierende Bestandteile der Raumkomposition und nicht nur Dekoration und Ornament sein, Intimität statt Weite wird angestrebt. In der Praxis kommt es jedoch häufig zu pflegeleichten Gärten mit kurzgehaltenen Rasenflächen, Nadelhölzern – die keinen Laubabfall verursachen – sowie Staudengewächsen und Blumen aus dem Angebot der Gartencenter. Ein Bewußtseinswandel beginnt seit den 70er und 80er Jahren mit der Ökologiebewegung. Man polemisiert gegen das Koniferenland, gegen Abstandsgrün und eine neue Gartenwelt, die so steril ist, daß Jungvögel in ihr verhungern müssen.5 Heute bietet die Vorgartenlandschaft ein weitgefächertes Bild: man findet eine Rückkehr zu geometrisch-barocker Formen, Bauerngärten mit nostalgischen Blumen, Ethnostil oder Feng Shui-Gestaltung, und ganz allgemein ist ein Trend zum Garten als „Wellnessraum“ festzustellen.6
Angesichts dieses „anything goes“ stellt sich die Frage nach unserem Blick auf die Natur. Inwieweit sind wir befangen in Bildern der klassischen und romantischen Epoche, aber auch in den Traumwelten der Werbung, der Reise- und Gartenprospekte mit ihrer „blumigen“ Prosa? Inwieweit genügen diese Bilder einer sich rasch wandelnden Realität, in der die Grenzen zwischen „Natürlichem und „Künstlichem“, beispielsweise in der Gen- und Biotechnologie, immer undeutlicher werden? Und wie kann man bei der Überfülle der Gestaltungsangebote der Gefahr der Beliebigkeit entgehen? – Möglicherweise durch eine Rückbesinnung auf die Sehnsüchte, die der Mensch seit Urzeiten mit dem Garten verbindet: Unschuld, Freiheit und Harmonie mit der Natur. Aber müßte der Vorgarten unter diesen Vorzeichen nicht kitschig werden? Vielleicht nicht notwendig, wenn man den Kitsch als Methode erkennt, mit illegitimen Mitteln auf legitime Bedürfnisse zu antworten.
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