Laufen Lernen

Berlin-Hoppegarten ist für seine Pferderennbahn bekannt, doch nebenan in der Reha-Klinik bestimmen Krücken das Tempo. Wer hier wieder laufen lernen will, begegnet Topflappenverkäufern, eifrigen Zivis und verwirrten Anwälten. Und an Ostern suchen alle zusammen Eier.

„Wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu dürfen … für voraussichtlich drei Wochen … Median Klinik in Berlin-Hoppegarten …“, ich überfliege den Brief der Deutschen Rentenversicherung. Das bedeutet Ostern in der Reha-Klinik und zehn Seiten Formulare ausfüllen. Nach der Diagnose Fersenbeinfraktur beidseitig, links OP mit neun Schrauben und Platte, drei Monate liegen und Rollstuhl endlich ein erster Schritt, um wieder laufen zu lernen. „Informationen zur An- und Abreise finden sich unter Ziffer 2, bzw. erkundigen Sie sich bei Ihrer Klinik“, die aber ist nicht zuständig. Es tue ihr leid, sagt die Frau am Telefon und rät, ein Taxi zu nehmen und sich wegen der Zuzahlungsmodalitäten, Ziffer 2, mit der BVA in Verbindung zu setzen. Ich fahre mit dem Taxi. Hoppegarten ist direkt an der B1, immer die Frankfurter Allee raus, Richtung Köpenick, Hellersdorf, dann hinter Kaulsdorf an der Ampel beim Pflanzencenter Kölle links. Wo jetzt das Pflanzencenter ist, war früher das Winterquartier des Staatszirkus der DDR, heute züchtet noch genau eine russische Zirkusfamilie hier weiße Schäferhunde, die nachts manchmal heulen. In der Rennbahnallee stehen noch zwei Gründerzeitvillen, Louise und Viola, jetzt unbewohnt, die Fenster und Türen mit Brettern verrammelt, im Garten ein Sperrmüllhaufen und ein schiefer Zaun. An der Bushaltestelle vor der Klinikeinfahrt kein Mensch, in der Woche nie, nur sonntags manchmal der Besuch, stündlich auf dem Weg zum S-Bahnhof.
  Vorwiegend ältere Menschen mit einem Stoffbeutel um den Hals schlurfen durch den Empfangsbereich der Klinik, setzen langsam einen Schritt nach dem anderen, sitzen auf den Holzbänken vor dem Eingang. Später werde auch ich hier sitzen. Vormittags ist hier Sonne. Bei der Aufnahme bekomme ich einen Stoffbeutel, ein Therapielaken, Zimmerschlüssel, das Terminheft für die täglichen Anwendungen und eine Mineralwasserflasche, die ich wieder auffüllen soll, wenn sie leer ist. Auf dem Weg Richtung Fahrstuhl entdecke ich in einer Vitrine die Souvenirs, die man hier kaufen kann: Schlüsselband, Kaffeetasse und Kugelschreiber – alles mit dem Klinik-Logo, einem Leonardo Da Vinci Strichmännchen in einem blauen Kreis mit ausgestreckten Armen und Beinen. Schließlich ist das Motto hier: Der Mensch im Mittelpunkt.

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