TEUTONIKA – Leben in Deutschland

Brief Pöltz

Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Dr. hc. Pöltz

Da Sie nun immer noch, wie ich hoffe bei angenehmer Beschäftigung, guter Atmosphäre, vielleicht sogar bei einem mittlerem Wein, oder auch einfach nur so – im Aquitaine weilen, während mir hier gerade mein bescheidenes Labor gut genug erscheint, schreibe ich Ihnen jetzt diesen Brief.
Ihre letzte meine Arbeit betreffende Einlassung hat einen gewissen Klärungsbedarf aufgezeigt. Ich nehme an, dass es auch in Ihrem Interesse liegt, wenn wir die Sache nicht allzu lange hinausschieben und uns einmal, trotz Aquitaine, daran machen und schauen, ob und wie wir einige Fragen klären können.
Ich möchte Ihnen nicht verschweigen, dass einige von meinen ersten Reflexen auf ihre sicher gut gemeinten Anmerkungen eher von gröberer Natur waren, darin vielleicht auch manchmal von unakademischen Impulsen getrieben. Aber schließlich hatten Sie hier Fürsprecher, die mich in Ihrem Sinne zur Besonnenheit anhielten, darunter auch Miss Mightybee, die sich ihretwegen sogar von ihrem zukünftigen Ex-Mann trennen wollte.
Zudem habe ich mich auch dazu verleiten lassen, einige hässliche Äußerungen in Richtung Unbeteiligter zu toben, was ich bedaure, aber so gesehen, hat es vielleicht auch für unsere Arbeit, und um die geht es ja hauptsächlich, das Feld bereinigt.
Es geht also immer noch um, wen wundert’s, und Sie sicher am allerwenigsten, trotz der Zeit die vergangen ist, und trotzdem ich im Grunde nicht der Mensch bin, der irgendwelchen Themen allzu lang und breit hinterher diskutiert, und auch sonst nicht nachtragend oder aufbrausend bin, es geht aber nichts desto trotz diesmal immer noch, sie werden das vielleicht dort bei sich im Aquitaine eher weniger leicht nachvollziehen können, obwohl Sie das vielleicht auch nicht gerade überraschen wird, aber da sie mich auch etwas kennen, werden sie es letztlich doch verstehen, kurzum: Es handelt sich hier um eine Sache, mit der sie mich in ihren letzten Anmerkungen, vielleicht nicht direkt verärgert, aber eben doch irgendwie schon ein wenig, ich möchte sagen – angeregt – wäre auch nicht das richtige Wort – aber mit der sie mich, wenn es diese Formulierung vielleicht trifft, in ein emotionalisiertes Erwägen verwickelt haben, hier in meinem Labor, während Sie es vorzogen, ins Aquitaine abzureisen.
Ich meine, und sie werden sich das vielleicht jetzt denken können, es geht um den Rasierapparat, Herr Professor Pöltz. Ja, immer noch.
Und damit meine ich jetzt nicht irgendeinen Rasierapparat, sondern eben den, Sie wissen schon – den Kaputten, Herr Dr. Pöltz, oder jedenfalls den, von dem Sie behauptet haben, man könne oder müsse sich diesem Rasierapparat jeden Morgen unter dem Vorbehalt des Verdacht nähern, dass ER GARNICHT SO, also ganz funktionstüchtig, sondern EBEN GANZ ANDERS, zum Beispiel kaputt ist.
Da muss ich Sie zunächst einmal mit beinahe schon therapeutischem Interesse fragen: Machen Sie so etwas wirklich?
Ich will Ihnen ja gerne zugeben, dass ich selbst, der ich übrigens Nassklingenrasierer (Klingone) bin, mich morgens manchmal meinem Gillette Kontur Mach3 unter dem Vorbehalt des Verdachts nähere, dass die Klingen eventuell GAR NICHT SO wie sie äußerlich scheinen, also scharf, SONDERN EBEN GANZ ANDERS, nämlich schon wieder stumpf sind. Insofern gebe ich Ihnen Recht, Herr Dr. Pöltz, der Alltag ist auch heute noch nicht ganz ohne Risiko zu sondieren. Auch wenn sich die Risiken in einer künstlich zugerüsteten Kulturlandschaft wie der unsrigen schon stärker gestreut haben und gewisse Verdachtsmomente nicht mehr, wie bei unseren Vorfahren, (sind diese Pilze nun essbar oder tödlich?) nicht immer gleich mit einem aprupten oder schmerzhaften Ende dieses Alltags verbunden sind.
Auch Sie haben das ja zugegeben, in dem Sie sagten, dass solche Verdachtsmomente also zum Beispiel gegenüber einem Rasierapparat nicht mehr so „informell brisant“ seien, wie etwa bei einer unbekannten Strauchbeere oder einem Pilz – aber so in einem Nebensatz fallen gelassen, obwohl es doch etwas ganz Entscheidendes bleibt. Und in diesem Sinne möchte ich ihr Rasierapparat-Argument mit Ihnen aber auch gegen Sie verteidigen.
Wenn ich in meiner Dissertation von einem „Ernährungszusammenhang“ spreche, dann meine ich damit tatsächlich die ganz ursprüngliche Anbindung aller Geistes-Gegenwart an energetische Prozesse, insofern ich „Ernährung“ als die Offenheit eines Systems gegenüber seiner energetischen Gefasstheit betrachte, denn das Zuführen von Nahrung heißt ja Fassung gewinnen an energetischer Wirklichkeit (Wirkung) also zunächst ganz physisch. Ich fürchte, ich muss es Ihnen einmal so platt sagen, Herr Dr.Pöltz: Alle Philosophen, ob Platoniker, Nihilisten, Dialektiker, Positivisten, Idealisten, Phänomenologen, kritischen Rationalisten oder auch die reinen Ontologiker – sie alle müssen irgendwann einmal essen und trinken. Eine Beobachtung, die sie sich auch gegenseitig untereinander wohl oder übel bestätigen müssen, auch wenn sie sich sonst nicht leiden können. Rasieren müssen sie sich dagegen nicht unbedingt. Man kann sowohl ohne als auch mit Bart philosophieren. Dafür gibt es in der Geschichte eindrucksvolle Beispiele. Ohne Nahrung allerdings wird es immer bald schwierig.
Wenn ich nun dass Problem mit der sehr schönen aber eventuell tödlich giftigen Strauchbeere oder dem harmlos so daliegenden Rasierapparat, der eventuell kaputt oder stumpf sein könnte, in einer bewussten Geistes-Gegenwart als einem einfachen dualen Kippschalter von entweder SO (harmlos, essbar, funktionstüchtig) – (ODER-KLICK)-GANZ ANDERS (giftig, tödlich, kaputt) abbilde, dann fällt zunächst auf, dass ein Wort wie Gegen-Wart hier ganz gut passt. Denn in Gegen-Wart steht der Mensch, der auf das GEGEN WARTET. Insofern ist der Mensch also kein Hauswart (Hüter des Seins, Heidegger), sondern eher ein GEGEN-WART, der GEFASST SEIN muss auf die WIDER-WART
Und an dieser Stelle muss man nun gar nicht weiter groß herum doktern. Es genügt, sich klarzumachen, dass menschlich bewusste Gegenwart , wenn ich es zunächst als GEGEN-WÄRTIGKEIT beschreibe, in dem es also auf und für einen Widerspruch GEFASST sein muss, in gleicher Weiser oder viel stärker noch ein ENERGIE-WART ist. Denn bestimmte Stoffe in einer giftigen Beere können seine Fassung eben nicht nur von der geistigen Seite her durcheinander bringen sondern radikal seine gesamte physische GEFASSTHEIT bis hin zur Zerstreuung, dem Tod, hin auflösen. Im direkten Falle also WIDER-WÄRTIG sein. Ebenso wie der dauerhafte Entzug von Nahrung.
Das Interessante aber ist doch nun, dass sein gegenwartendes Gefasstsein auf Widerwärtiges evolutionär nicht erst mit der Ernährung, dem Essen oder gar mit dem physischen Hantieren an einem Rasierapparat in Verbindung steht, also nicht erst mit dem Menschen, sondern schon viel früher und zeitlich betrachtet bereits v o r jeder Sprache im Tier oder schon in der Pflanze als ein GEFASSTSEIN in GEFASSTHEIT wirkt. In diesem Sinne auch Tiere und Pflanzen schon energetische GEGEN-WÄRTER sind. Sie erwarten das Wasser, das Licht, die Kühe dagegen erwarten auch das Gras usw…
Aber sie erwarten auch Wind und Wetter, Hagel oder Blitzschlag, WO-GEGEN sie eine GEGENWARTSCHAFT wie zum Beispiel Fell, Haut oder als Pflanze eine Elastizität am Halm ausgebildet haben, damit sie nicht sofort und immer von jeder energetischen WIDER-WÄRTIGKEIT, zum Beispiel größeren Regentropfen, erschreckt, verkühlt, oder gar gebrochen werden. Ihre FASSUNG verlieren. Ebenso wie ein Skelett GEGEN das Potential der Gravitation sich aufrichtet und diesem Potential eine kalziumgestützte GEFASSTHEIT entgegensetzt. Und so weiter. Dazu kommt noch, dass Kühe beispielsweise, obwohl jede einzelne für die Wider-Wart eines Blitzschlags keine Gegenwartschaft hat, aber in ihrer Gattungsverteilung trotzdem eine Gegenwärterschaft den Blitztreffern GEGEN-ÜBER ausgebildet haben, nämlich als Gattung im Sinne der Anzahl. (Wenn mal eine vom Blitz erschlagen wird, bleiben die anderen ja stehen.)Die Gattung bleibt vorerst geschützt, durch ihre schiere Anzahl, die sich normalerweise gegenüber der Wahrscheinlichkeit von Blitztreffern durchsetzen wird.
Warum nun breite ich hier so pingelig, Herr Dr. Pöltz, diese Trivialitäten aus? Das werden Sie sich vielleicht fragen. Ganz einfach: Es geht mir darum, das Widerspruchsverhalten von Menschen zu verstehen, zu untersuchen und gegebenenfalls zu klassifizieren.
Als Widerspruchsforscher untersuche ich ja den Widerspruch als Kommunikationsphänomen in einem evolutionär bereits weit fort geschrittenem Stadium, nämlich dem der Sprache. Ich habe aber neulich von einem guten Freund und Physiker erfahren, dass wenn man etwas erkennen und/oder unterscheiden möchte, man eine Referenz braucht, welche die Dinge zunächst einmal gleich macht. Das ist furchtbar anstrengend, aber vielleicht lohnt sich der Aufwand ja. Denn, und nun werde ich Ihnen etwas sagen, dass mich ebenso schockiert hat, wie es sie vielleicht nur müde lächeln lassen wird: Auch ein Stein als nicht belebtes Objekt ist ein GEGEN-WART und setzt den physisch energetischen Prozessen seine (vorübergehende) GEFASSTHEIT (in Form) ENTGEGEN. Man könnte auch sagen: Ein Stein existiert täglich, also sozusagen jeden Morgen neu ENTGEGEN dem Vorbehalt des Verdacht, dass er vielleicht gar nicht existent sein könnte mit seinem Widerspruch: ES IST ABER EBEN GANZ ANDERS; nämlich: Er ist als Stein da und noch nicht kaputt, also energetisch zerstreut, wie man vielleicht denken könnte. Dass der Stein das schafft und kann, dass er also seine GEFASSTHEIT in GEFASSTSEIN als GEGEN-WART hat, ist nicht selbstverständlich. Auch ein Stein „ringt täglich um Fassung.“ Denn es kann jederzeit ein größerer Stein auf ihn fallen und ihm seine FASSUNG rauben. Deshalb könnte man sagen, auch ein Stein leistet in gewisser Weise täglich eine Widerspruchs – oder Widerstandsarbeit gegen den Vorbehalt des Verdachts, dass er zerstört oder verändert oder zerstreut ist/sein wird. Auch er also ein GEGEN-WART. Das Schicksal der Veränderung und Zerstreuung mag auch ihm bevorstehen, nur eben nicht so plötzlich. Das Erstaunliche daran bleibt, dass es so gesehen jetzt mit dieser Referenz keinen Unterschied gibt zwischen einem Stein und einem lebenden System. Das Argument des Biologen, dass ein biologisches System seine formale GEFASSTHEIT zum Beispiel als Zelle in seiner Form aktiv forciert, gestaltet oder gattungsmäßig durch Fortpflanzung entwickelt, während ein Stein ja nur passiv so in der Gegend herumliegt, ist von der energetischen Seite betrachtet sehr schwach. Nicht haltbar. Denn als örtliches Strukturmoment oder als zeitliches Prozessmoment, sind Steine ebenso in der Lage sich fortzupflanzen, sich zu teilen, oder sich zu größeren Haufen, Felsen, Gebirgen, Vulkanen aufzuschieben. Alles eine Frage der Zeit und der Arbeitsleistung im Sinne von Zufuhr oder Abgabe von Energie, vulkanisch oder kosmisch, oder der allgemeinen Lage im energetischen Fortgang der Bewegung. Alles was an Materie da ist, ob Stein oder biologische Zelle, war von Anbeginn da. Es kann nichts hinzukommen oder verschwinden. (Erhaltungssatz) Energie und Materie sind äquivalent. Auf der Erde „wächst“ deshalb auch kein Leben. Es gestaltet sich als Prozess und Strukturmoment von Materie oder Energie irgendwo zwischen einer GEFASSTHEIT in GEGENWART und dem GEFASSTSEIN auf WIDERWART (Sammlung oder Zerstreuung im Ereignis). Dass die großen Zeitskalen bei Steinen so ungleich länger sich dehnen als bei biologischen Systemen, kann nur ein vorläufiges Argument zur Unterscheidung liefern. Aber kein endgültiges. Dies alles gilt natürlich nur für eine rein physikalische Betrachtung und wenn man Erde und Sonne in Energiewechselwirkung zusammen empfindet. Ob es überhaupt noch eine andere sinnvolle Seite der Betrachtung gibt, und wie genau die Übergänge hin zur biologischen beschaffen sind, muss ich noch untersuchen. Aber wenn Physik überall gilt, und das tut sie, dann muss sie auch für die Biologie gelten.
Das mag jetzt wieder furchtbar trivial klingen, und damit komme ich jetzt zu dem zweiten nicht unberechtigten Einwand von Ihrer Seite.
Sie haben gesagt, dass meine Untersuchungen zum gepflegten gutbürgerlichen Widerspruch, ja selbst auch wieder ein, wenn auch subtiler Widerspruch sind, und das ich damit also in einer selbstreferenziellen Schleife zirkulieren würde. Anders ausgedrückt: Auch mein Sprechen sei ja seinem Impuls nach ein Entgegensprechen, ein Widersprechen. Und so wäre ich selbst in einem ewigen Zirkel gefangen, weil ich dann im Grunde nichts über die Außenwelt erfahren könne, sondern nur immer den GEGEN-WARTS- Charakter meines eigenen Bewusstseins oder Wahrnehmungsapparats bestätige, indem ich meine eigene Wiederspruchswunschmaschine anwerfe. Für diesen Einwand bin ich Ihnen auch sehr dankbar, Herr Dr. Pöltz
Nur, Herr Dr. Pöltz, zunächst mal interessiere ich mich ja nicht vordergründig für die „Welt“, auch nicht für die „Aussenwelt“, sondern ich interessiere mich für Wirklichkeiten (Wirkungen). Und Wirkungen im Sinne von Wirklichkeiten halte ich mit Verlaub für diskutierbar. Und hier in diesen Wirkungen interessiert mich eben genau der Widerspruch als Phänomen der Kommunikation, in dem mein eigenes Widersprechen mit eingeschlossen ist. Das gebe ich gern zu. Ich bin eben deshalb auch kein Philosoph, sondern Widerspruchsforscher. Was die „Welt“ betrifft, da wissen Sie selbst, dass wir damit an einem empfindlichen Knackpunkt allen Philosophierens rühren. Und sie haben damit völlig Recht. Das Dumme ist nur, dass auch damit kein Beitrag geleistet ist, außer eben wieder nur ein Einwand, ein Kontrapunkt oder einen Widerspruch von Ihrer Seite, der das Problem aber auch nicht löst.
Wenn Descartes seinen berühmten Satz gesagt hat: „Ich denke, also bin ich.“ Dann darf man nicht vergessen, dass er diesen Satz unter dem Eindruck eines tiefen Zweifels, der in einem Traum geboren wurde, eben genau diesem Zweifel ENTGEGENGESPROCHEN, ja geschleudert hat. Des Zweifels, der die Frage behandelt: Wie kann ich sicher sein, dass ich bin und nicht nur etwas Geträumtes? Sie wissen ebenso gut wie ich, dass auch Descartes damit den logischen Zirkel nicht aufgebrochen hat. Ganz im Gegenteil. Er hat damit lediglich gesagt: Ist mir doch schnuppe, ist mir doch scheiß egal jetzt, ich denke, also bin ich. Punkt. Man muss ihm da zunächst einmal ein Löwenherz und einen Mut anerkennen, dass er das Problem für sich vorläufig so gelöst hat. Damals ein Wagnis. Dass diese Art, einen Knoten einfach durchzuhauen, statt ihn aufzuschnüren, nicht unbedingt der Weisheit letzter Schluss war, haben andere Philosophen nach ihm ja auch gesehen. Aber das würde jetzt den Rahmen dieses Briefes sprengen. Weil es auch sinnlos wäre. Sie wissen das auch alles, Herr Dr. Pölz. Kein Philosoph, und wirklich: kein Philosoph, konnte bisher den logischen Zirkel, dass nämlich menschliches Sprechen und/oder Empfinden sich immer als ein GEGEN-WÄRTIGES, also als auf ein GEGEN bezieht, dessen „wirkliches“ Dasein sich letztlich nicht beweisen lässt – lösen. GEGEN-WART wird bedingt von einer WIDER-WART- und damit befindet man sich in einer Menge, die sich selbst enthält. Weil auch unsere Wahrnehmungsinstrumente selbst nicht außerhalb der Wirkung(lichkeit) sich befinden können. usw… Und „da draußen“ bleibt zweifelhaftes, unsicheres Gebiet. Die Philosophen wussten das und haben für dieses Dilemma verschiedene Lösungen angeboten. Gott war immer ein guter und hilfreicher Ausweg, als ein jenseitiges GEGEN, das uns stützt, an dem wir uns stützend aufrichten, den man zwar letztlich nicht beweisen muss, aber der dafür im Glauben selbst erzeugt wird. Aber auch hier nagte der Zweifel zu Recht. „Da draußen“ wurde nicht besser. Deshalb kam dann Kant mit seinem „Ding an sich“ dessen „wahre Natur“ man zwar nie erkennen könne, dass sich aber mittels Vernunft im Prozess des Handelns und Urteilens nach Maßgabe dieser Vernunft im Prozess einer Ermittlungsbewegung erkenntlich zeige im Sinne der Vernunftbestätigung, aber eben nie in seiner „wahren Natur.“ Bei Hegel war es dann der „Weltgeist“ in der dialektischen Aufwärtsbewegung immerhin schon als fluider Reflexionsprozess konzipiert, was clever gedacht war, der dann aber ausgerechnet im Hegelschen System selbst aber zur Vollendung und Ruhe kommen sollte, was auch nicht befriedigt hat; und wieder andere haben sich für dieses Problem gar nicht erst interessiert, sondern gemeint: Wichtig ist doch, dass wir unsere Welt einigermaßen gerecht organisieren, ob sie nun geträumt ist oder nicht, spielt keine Rolle. Und damit hatten sie ja auch gar nicht so unrecht. Das waren die Schmerzpragmatiker, wohlwollende Anästhesisten, denen es vordergründig darum ging, den Schmerz zu minimieren, den Hunger, das Leid, die Ungerechtigkeit u.s.w. Leider haben ausgerechnet diese letztgenannten durchaus vernünftig motivierten Schmerzpragmatiker im letzten Jahrhundert auch Schlimmes bewirkt. Wenn man so will, wie eine Betäubungsspritze, deren Nadel man heute weitaus mehr fürchten muss, als den übelsten Zahnschmerz. Viele sind sich darin einig, dass es in unserer geträumten oder nicht geträumten Welt statistisch betrachtet von der Schmerzseite her nicht so viel besser geworden ist, eher schlechter. Ich selbst glaube übrigens nicht, dass dieser Einschätzung so zutrifft. Da bin ich optimistischer und würde der Einschätzung deutlich widersprechen. (ggW) Aber das möchte ich an dieser Stelle noch nicht diskutieren.
Was ich Ihnen zunächst gerne anbieten würde: Dass wir den Satz von Descartes aus seiner Ich-Fixiertheit lösen und Cogito ergo sum, eben nicht übersetzen mit „Ich denke, also bin ich.“ sondern etwas freier mit der Übersetzung: „Es gibt Bewusstsein.“ Oder noch anders: Es gibt ein GEFASSTSEIN in GEFASSTHEIT. Dann hätten wir zunächst eine Referenz, welche die elende Frage, ob es nun real oder nicht real, ob die Welt ein Traum oder kein Traum ist, ausklammert, und könnten uns zuerst der Frage zuwenden, was es eigentlich ist – dieses Empfinden, dass uns sagt: Irgend etwas prozessiert zwischen GEGEN-WART und WIDER-WART
Dazu wäre es aber notwendig, dass Sie sich mal wieder aus dem Aquitaine hier her begeben. Ich kann Ihnen versichern, dass hier keine Progrome gegen die 68iger Generation stattfinden, der Sie ja (un)glücklicherweise angehören, was auch ungerecht wäre – und auch in Zukunft keine zu erwarten sind. Sie können ganz unbesorgt sein. Auch ihre gut dotierte C4-Professur und Ihre 6–Zimmer-Dachgeschosswohnung stehen hier nicht zur Debatte. Im Gegenteil, Herr Professor Pöltz, ihre GEGEN-WART wird hier gebraucht, dringender denn je, nicht nur von mir. Denn einige Teile der ehemaligen Intelligenz in diesem Land sind gerade dabei, Ihr selbstständiges Denken an den rostigen Nagel eines alten Katholizismus zu hängen oder an noch bedenklichere Nägel, oder sogar einfach nur noch ans Chaos oder ans Herz zu delegieren. Herz und Chaos sind aber (vorerst und nach altem Brauch) immer noch für die Liebe reserviert und zuständig, nicht aber fürs Denken. Und sie, die Liebe soll dort auch mit aller Wärme und Leidenschaft wachsen. Für alles andere aber und im Sinne des hellen Lichts der Aufklärung, bitte ich Sie dringend, schließen Sie ihr Landhaus für eine Weile ab und kommen Sie hier her in die Stadt zurück.

Mit freundlichen Grüßen, Ihr Boson

PS: Ich gebe Ihnen sogar noch dazu, dass auch ein Rasierapparat (ausnahmsweise) eine echte WIDERWART sein kann, nämlich dann, wenn er kaputt ist, oder wenn die Klingen stumpf sind, man sich infolgedessen schneidet und dann mit einem Pflaster seitlich in Pickelhöhe über dem Mundwinkel, das beim Reden schön hin- und her wackelt, genau an diesem Tag ein Bewerbungsgespräch überstehen muss oder eine Präsentation zum Thema „Mimik-Kontrolle bei Vertragsverhandlungen“.
Das kann die ganze Existenz betreffen, wie früher eine giftige Strauchbeere.

Klick…und absenden.

Was noch heute:

16 Uhr: YOGA

17 Uhr 30 : QUI GONG

19 Uhr: I Ging

20 Uhr : Tai Chi

22Uhr: Doku/Arte (Zen)

23 Uhr: Doku/ZDF (Uwe Barschel)

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